Abschied von den Müllbergen

■ Der Ankündigungsminister will den Einstieg in die "ökologische Kreislaufwirtschaft". Die umstrittene Verpackungsverordnung dümpelt in der Länderkammer vor sich hin.

Abschied von den Müllbergen Der Ankündigungsminister will den Einstieg in die „ökologische Kreislaufwirtschaft“. Die umstrittene Verpackungsverordnung dümpelt in der Länderkammer vor sich hin.

Neues Denken, Trendwende, endgültige Abkehr von der Wegwerfgesellschaft“: Wenn Klaus Töpfer vom Müll spricht, ist ihm kein Wort zu groß. Was sich der Bundesumweltminister mit seinem gestern vorgestellten „Gesamtkonzept zur Abfallpolitik“ vornimmt, ist eine fast herkuleische Aufgabe. Denn es bedeutet den Einstieg in die „ökologische Kreislaufwirtschaft“, die Grüne und Umweltverbände vor zehn und mehr Jahren aufs Tapet gebracht haben.

Dabei scheinen den Minister die Erfahrungen nicht weiter zu schrecken, die er bei seinem Versuch, der Hausmüllawine Herr zu werden, sammeln durfte. Die Verpackungsverordnung jedenfalls droht unter dem enormen Druck diverser Wirtschaftsinteressen als ökologische Mogelpackung zu enden. Jetzt gehe es um ungleich mehr, erklärte der Minister frohgemut der versammelten Bonner Journaille, „die Produktion von Gütern, ihre Verteilung, ihren Verbrauch und ihre Entsorgung als geschlossenes System“ zu betrachten und grundsätzlich „vom Abfall her zu denken“. Ein Paket von 13 Gesetzen und Verordnungen soll Hersteller, Händler und Konsumenten bis 1992 auf den umweltschonenden Weg zwingen.

Der „absolute Vorrang der Abfallvermeidung“, im Zusammenhang mit der Verpackungsverordnung von Kritikern heftig vermißt, soll nun in der anvisierten Novelle des Abfallgesetzes festgezurrt werden. Ziel sei es, die gegenwärtig 32 Millionen Jahrestonnen Hausmüll zu halbieren. Die „stoffliche Verwertung“, also Recycling oder Kompostierung, soll künftig vor der ungeliebten, weil ökologisch problematischen Müllverbrennung kommen. Produkte, die umweltschonend nicht entsorgt werden können, dürfen nach den Vorstellungen des Ministers gar nicht erst auf den Markt. Anhand von Ökobilanzen für bestimmte Produktlinien will Töpfer die Entsorgung optimieren, die Betriebe sollen zur Veröffentlichung umweltrelevanter Daten gezwungen und die „Stoffflüsse aus Abfällen und Reststoffen“ schärfer überwacht werden. Auf internationaler Ebene soll über bestehende und weitere Abkommen versucht werden, den Giftmülltourismus zu bändigen.

Als zentrales ökologisches Lenkungsinstrument plant Töpfer ein Abfallabgabengesetz, das bereits als Referentenentwurf vorliegt und 1992 in Kraft treten soll. Danach werden alle Abfälle — also auch Sondermüll, Bauschutt und Hausmüll — mit Abgaben belegt. Das Gesetz sieht einen Grundbetrag zwischen 20 Mark pro Tonne bei Hausmüll und 100 Mark bei Sonderabfällen vor. Zusätzlich soll ein Schadstoffzuschlag zwischen 20 und einigen hundert Mark pro Tonne erhoben werden. Um die Deponien zu entlasten und Anreize zur „Nutzung des optimalen Entsorgungsweges“ zu schaffen, kommt ein Deponiezuschlag zwischen 20 Mark (Monodeponien) und 100 Mark pro Tonne (Untertagedeponie) hinzu. Als fortschrittlich gilt eine in dem Referentenentwurf enthaltene „Dynamisierungsregelung“. Danach soll sich die Höhe der jeweiligen Abgaben von 1992 bis 2002 schrittweise verdoppeln.

Vier Milliarden Mark zusätzlich, hofft der Minister auf diese Weise alljährlich in die leeren öffentlichen Kassen schwemmen zu können. Die Hälfte davon will er zur Sanierung der Altlasten in der ehemaligen DDR abschöpfen. Investititonen „im Sinne des angestrebten Lenkungseffekts“ können, so Töpfers Angebot an die müllproduzierende Industrie, teilweise gegen die Zahlung der Abgabe verrechnet werden.

Wie bereits früher angekündigt, will der Umweltminister die Kraftfahrzeugindustrie zur „kostenlosen Rücknahme von Altautos und deren Entsorgung“ verdonnern. Dabei soll wiederum die „stoffliche Verwertung“ Vorrang vor anderen Entsorgungswegen haben. Ähnliches mutet Töpfer der Elektronikindustrie zu: Die soll ihren High-Tech-Schrott vom Verbraucher zurücknehmen und „weitestgehend stofflich verwerten“. Auch der taz und ihren Konkurrenten auf dem Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt will der Bonner Oberökologe die Kurzlebigkeit ihrer Produkte plastisch ins Gedächtnis rufen. Wer „Druckerzeugnisse vermarktet“, muß künftig auch deren Sammlung getrennt von Plastikmüll, Konservendosen und Fischresten „sicherstellen und finanzieren“.

Eindeutig als Bonbon für in Sachen Verpackungsverordnung aufmüpfige Länder wie Bayern ist schließlich eine „Verordnung zur Sicherung und zum Ausbau der Mehrwegsysteme im Getränkebereich“ gedacht. Darin werden dynamisch steigende Mehrwegquoten insbesondere für Wein, Fruchtsäfte und Milch angekündigt, die Töpfer im Bund-Länder-Streit um die Verpackungsverordnung stets — unter Hinweis auf mögliche Einwände aus Brüssel — abgelehnt hatte.

Heute produziert jeder Bundesbürger 375 Kilogramm Müll pro Jahr. Nur 50 Pfennig pro Monat soll ihm der Einstieg in die Recyclingwirtschaft kosten, verspricht der Minister. Das wäre mehr als zumutbar, wenn die Rechnung stimmt. Der ministeriale Sprechzettel von gestern läßt viel Raum für Interpreten — und für Lobbyisten. Klaus Töpfer hat die Meßlatte weit nach oben gelegt. Gerd Rosenkranz