Phillip Boa

■ Einer kriegt immer die letzte Ölung

Der Rebell verbeugt sich vor seinem Publikum. Nach mehr als fünf Jahren stellt er sich ein letztes Mal in Deutschland dar. Dies gilt zumindest nach eigener Aussage für eine sehr, sehr lange Zeit. Es ist die inszenierte Abrechnung mit der deutschen Musikszene, die ihn größtenteils nie verstanden, sondern nur gedemütigt und angemacht habe. Jetzt kehrt er dieser Szene den Rücken und geht auf die Insel.

Phillip Boa verabschiedet sich mit seinem neuen Album »Helios« und einer Tour durch mittelgroße Hallen, um sich dann nach Malta abzusetzen. Er geht ins Exil — eine Flucht mangels Freunden und wegen zuviel schlechter Luft. So oder ähnlich lauten die derzeitig breit gestreuten Statements eines Phillip Boa, der es immer wieder versteht, sich durch ein geschickt eingesetztes Negativ-Verhalten bei den Medien zum Headliner machen zu lassen. Die letzten Jahre als »Arschloch der Nation« hochstilisiert, zeigt sich Boa jetzt mit gesenktem Haupt der Öffentlichkeit, ist auskunftsfreudig und gesteht, daß er eigentlich gar nicht arrogant gewesen sei oder ist, sondern nur ein wenig unsicher und schüchtern.

Daß diese Boasche Reinwaschung auch jedem ins Gedächtnis übergeht, dafür ist mit großem finanziellem und arbeitstechnischem Aufwand gesorgt worden. Ist die Seele dann endlich rein, so wird aus dem Mythos auf der Insel dann vielleicht doch noch ein Nachfolger von Bolan und Bowie, glaubt man zumindest einem Tony Visconti, so wie dieser von der Polydor zitiert wird.

Boas neues Album »Helios« gibt sich im Vergleich zu früheren Produktionen eher sanfter und schlichter. Die Bezeichnung Pop reicht jetzt fast aus. Vorbei sind die Zeiten, in denen sich der Kritiker die Haare raufen mußte, auf der Suche nach irgendwelchen Strömungen, die der Boaschen Musik zugrundeliegen könnten. Geblieben ist die Eigenständigkeit im Sound des Voodoo Club, der, das muß man ihm lassen, seinesgleichen noch nicht gefunden hat. Es ist immer noch das Phänomen Boa, das hier seinen Ausdruck findet. Vor allem an Dramatik wurde nicht gespart — es wurde eine wirklich perfekte Abschiedsproduktion. Unterstützt wurde dieses letzte große Projekt des Voodoo Clubs durch neue Musiker, dem Ex- P.I.L.-Gitarristen Ted Chau und dem Bassisten Dave »Taif« Ball, der früher mal bei Killing Joke die Saiten zupfte.

Wenn Phillip Boa heute in der Neuen Welt die Bühne betritt, so ist dies die letzte Möglichkeit, das »Opfer der Medien« zu bewundern, kurz bevor es sich in die Flucht begibt. Er liefert ein Resümee eines von Widersprüchen geprägten Musikerdaseins ab, das Boa nach eigener Aussage zum ersten Mal das unbekannte Bühnengefühl von Spaß und Professionalität verliehen habe. Am Ende, wenn der letzte Ton verstummt ist, werden sich hoffentlich alle ihre eigenen Gedanken machen. Was bleibt, ist ein liebevoller Merchandiser, der für jeden etwas dabei hat, den Abschiedsschmerz ein wenig zu lindern, sowie Boa einen guten Flug zu wünschen. Jürgen Zilla

Um 20 Uhr in der Neuen Welt