Geständnis mit Wunderwaffe erpreßt?

■ Prozeß um den Mord und sexuellen Mißbrauch an drei kleinen Kindern in Prenzlauer Berg zieht sich hin/ Gericht prüft, ob Vernehmungsmethoden korrekt waren: Geständnis möglicherweise erpreßt

Moabit. Am 1. Juni 1988, dem Tag des Kindes, machte die Volkspolizei im Bezirk Prenzlauer Berg eine grausame Entdeckung. Die achtjährige Melanie war in einem Keller in der Dimitroffstraße 17 erwürgt worden. Zuvor war sie sexuell mißbraucht worden. Der Mord an dem Kind war den Ostberliner Zeitungen am folgenden Tag unter der Rubrik Was sonst noch passierte ganze 20 Zeilen wert. Dreieinhalb Monate später, am 17. September, wurde der dreijährige Christian wenige Straßenzüge weiter im Hausflur der Lychener Straße 45 Opfer eines Sexualmords. Seine Mutter hatte ihn am Nachmittag bei einem Straßenfest im Thälmann-Park aus den Augen verloren. Auch dieser Mord wurde am folgenden Tag in einer winzigen Meldung abgehandelt.

Ein halbes Jahr später, am 29. Mai 1989 war der sechsjährige Guido verschwunden. Er wurde von der Kriminalpolizei auf dem Dachboden des Hauses Dunckerstraße 88 in einem alten Kühlschrank-Karton entdeckt. Auch Guido war sexuell mißbraucht worden, bevor man ihn erdrosselte. In einer 16zeiligen Meldung war ein paar Tage später zu lesen, daß »intensive kriminalpolizeiliche Ermittlungen« zur Festnahme des vorbestraften Rainer F. geführt hätten. Der 32jährige Kraftfahrer Rainer F. steht seit Mitte Januar 1991 wegen Mordes an den drei Kindern vor einer Großen Strafkammer in Moabit vor Gericht (die taz berichtete). Das Ostberliner Gericht hatte die Eröffnung des Prozesses solange vor sich her geschoben, bis es auf Grund der deutschen Einheit für den Fall nicht mehr zuständig war.

Ein Ende des Verfahrens gegen den Angeklagten, der inzwischen zwei Jahre in Untersuchungshaft sitzt, ist auch jetzt noch nicht in Sicht. Der Grund: Rainer F. schweigt vor Gericht. Das wichtigste Beweismittel in diesem Indizienprozeß ist sein Geständnis, daß er am 1. Juni 89 nach 36stündiger, nahezu ununterbrochener, Vernehmung bei der Kriminalpolizei abgelegt hatte. Ob das Geständnis in dem Prozeß verwertet werden darf, versucht das Gericht jetzt zu klären.

Die Verteidigung hat jetzt den Eindruck, daß das Geständnis mit verbotenen Vernehmungsmethoden von Rainer F. erpreßt wurde. Nach 36stündigem Verhör, so vermuten sie, redete Rainer F. den Vernehmungsbeamten nach dem Mund, weil er mittlerweile total erschöpft war.

Nach Informationen der taz war die gesamte Vernehmung auf Tonband mitgeschnitten worden. Die Bänder wurden in dem Prozeß aber noch nicht als Beweismittel eingeführt. Aus den Mitschnitten soll hervorgehen, daß Rainer F. bei der Vernehmung ein Tonband vorgespielt wurde, auf dem seine Frau weint. Außerdem sollen die Vernehmer Rainer F. mit einer Maschine — einer Wunderwaffe aus Japan — gedroht haben. Was es mit der Wunderwaffe aus Japan auf sich hat, wurde am vergangenen Mittwoch vom damaligen Leiter der Mordkommission II und jetzigen Privatdetektiv, Thomas Sindermann — Sohn des ehemaligen DDR-Volkskammerpräsidenten — erklärt: »Wir hatten damals eine japanische Videokamera bekommen, die zur Sichtbarmachung von Spuren groß propagiert worden war.«

Ob Rainer F. nach der Strafprozeßordnung (StPO) der DDR ein Aussageverweigerungsrecht zustand und ob er — wenn ja — über seine Rechte, schweigen zu können, belehrt worden war, konnte durch die Zeugenvernehmung bislang noch nicht geklärt werden. Die Ex-Ostberliner Staatsanwältin Silvia M., die damals gegen Rainer F. Anklage erhoben hatte, bestätigte als Zeugin zwar, daß das Recht zu Schweigen im Paragraphen 61 StPO nicht explizit aufgeführt ist, sich dieses aber eindeutig im Umkehrschluß aus der Formulierung ergebe: »...der Beschuldigte kann alles vorbringen, was die erhobenen Beschuldigungen ausräumt... « Auch das Recht, einen Anwalt hinzuzuziehen stand Rainer F. der Staatsanwältin zufolge zu.

Sie bestätigte jedoch, daß Rainer F. mit seinem Anwalt bis zur Anklageerhebung nur in Gegenwart eines »Untersuchungsorgans« sprechen durfte. Sie begründete dies damit, daß Gespräche unter vier Augen von der »Geständnisbereitschaft und dem Kooperationsbemühen« des Beschuldigten abhängig gemacht worden seien. Staatsanwalt du Vigenau, der jetzt die Anklage gegen Rainer F. vertritt, meint, daß das Geständnis verwertet werden kann, wenn die Belehrung nach der StPO der ehemaligen DDR korrekt erfolgt ist.

Selbst wenn das Gericht die Vernehmungsmethoden für unzulässig halten solle, geht du Vigenau davon aus, daß Rainer F. »mindestens« des Mordes an dem sechsjährigen Guido schuldig gesprochen wird. Er begründete dies damit, daß der Kühlschrank-Karton, in dem der tote Junge gefunden worden war, Rainer F. gehörte.

Die Frage ist nun, ob das Gutachten eines Ostberliner Gerichtsbiologen ausreicht, der vor Gericht bereits bestätigte, daß die »Fasern«, die an dem toten Guido gefunden wurden, mit den Fasern identisch sind, die an der Bekleidung des Angeklagten entdeckt worden waren. Plutonia Plarre