»Alles ganz ordentlich«

■ Bonner Gesundheitspolitiker besuchen Berlin

Berlin. Mit großen Augen schauen die Männer in den dunklen Anzügen auf die baufällige Kaserne der Sowjetarmee am Wegesrand. »Sitzt dort die NVA?« fragt einer verwundert. »Ich dachte, die gibt es gar nicht mehr«, meint sein Nachbar und schaut angestrengt durch die Scheiben des schaukelnden Reisebusses. »Ich glaube, hier sitzt die Militärpolizei«, mischt sich ein dritter in das Gespräch.

Es ist Mittwoch nachmittag. Um sich mal so richtig »vor Ort« über die Situation der ostdeutschen Polikliniken zu informieren, sind die Mitglieder des Bundesgesundheitsausschusses aus dem fernen Bonn in das fremde Berlin gereist. »Das ist ja alles ganz ordentlich hier«, lobt eine Abgeordnete und läßt den Blick anerkennend durch die Räumlichkeiten der erst 1986 erbauten Ostberliner Vorzeige-Poliklinik schweifen. An diesem »ordentlichen« Ort — zwar »ganz schön heiß hier«, aber überall »recht sauber«, »eigentlich genauso wie bei uns« — verbringen die Abgeordneten gern zwei Stündchen auf dem Rundgang durch die Abteilungen.

Und sind ordentlich beeindruckt: auch vom Personal, vor allem der Röntgenassistentin, wie sie mit durchgedrückten Knien Patientenzahlen und Marken der benutzten Geräte herunterrasselt, wirklich erstaunlich. Der Trip ist anstrengend, schließlich wird ein ordentliches Tempo vorgelegt. Schwäche stellt sich ein, schließlich blieb zwischen Ausschußsitzung und Besichtigung nur ein Viertelstündchen Zeit, um sich ein paar Häppchen zu genehmigen und das ist ja keine ordentliche Mahlzeit. Deshalb möchte sich auch keiner die Räumlichkeiten der zweiten Poliklinik allzu lange anschauen (»Hier sind die Zustände ja unerträglich, und so etwas wollen wir erhalten!«), da hört man nur zu gern die Einladung des Leiters zu Kaffee und Gebäck. Die aufgefahrenen Süßigkeiten zwingen die Abgeordneten förmlich an den gedeckten Tisch, der Kreislauf konzentriert sich auf Verdauung und kaum noch auf die wohlgefällige Rede des Poliklinikleiters. »Scheint doch wirklich alles sehr ordentlich zu laufen mit der Umstrukturierung im Gesundheitswesen«, meint ein Politiker anschließend anerkennend — nur leider hatte er sich genausowenig wie seine KollegInnen ein Stockwerker höher bemüht, wo ihm die Schwestern und ÄrztInnen aus ihrer Erfahrung etwas ganz anderes und wohl auch ordentlich die Meinung gesagt hätten.

Nun aber hurtig zurück in die Berliner Geschäftsstelle der AOK, fünf Stockwerke zu Fuß (»wir sind schließlich der Gesundheitsausschuß«), doch die Höhe der Berliner Geschosse nicht bedenkend, verfärbt sich das Gesicht der munteren Dame bereits in der dritten Etage puterrot. Doch schon winkt die Belohnung in Form eines ordentlichen Schweinebratens, Fleischhäppchen und goldgelbe Mayonnaisespritzer (Bloß keine Körner!), zusammengetragen und finanziert von der AOK gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Gesundheit.

Aber eins muß man den Verantwortlichen für die Gesundheitspolitik unseres Landes ja lassen: Die selbst organisierten Nichtraucherkampagnen schlagen auch auf sie zurück, kaum jemand greift zum Glimmstengel. Der reichlich fließende Gerstensaft dagegen findet reißenden Absatz — aber ein paar Bierchen hat man sich nach diesem anstrengenden Tag schließlich auch ordentlich verdient. Martina Habersetzer