Orpheus in der Mikrowelle

■ Cronenbergs „Die Fliege“, Fr., 23.00 Uhr, Pr7

Seth Brundle (Jeff Goldblum) ist der exzentrischste Bodybuilder der Welt. Statt Hantel und Eiweiß benutzt er Computer und Mikrowelle, um Damenstrümpfe und menschliche Körper bis auf die Atome zu zerlegen — und wieder „perfekt“ zusammenzusetzen.

Die literarische Vorlage dieser techno-organischen Symbiose, die dort anknüpft, wo Mary Shellys Frankenstein aufhört, stammt von George Langelaan, einem britischen Autoren französischer Abstammung. 1962 unter dem Titel „Nouvelles de l'Anti-Monde“ veröffentlicht, bildet Die Fliege den Auftakt einer Kurzgeschichtensammlung, die die makabre Fragestellung variiert, was vom Menschen übrig bleibt, wenn seine wissenschaftlich- technologischen Krücken Funktionen des Körperlichen durchdringen. Wie bei Poe bleibt die Frage der Technologie eine Metapher für die — physisch erlebte — Zersetzung des Seelischen.

Kurt Neumanns Verfilmung von 1958 bleibt zwar dicht am Text, verfälscht jedoch die Intention Langelaans, für den es offen bleibt, ob der „Materietransmitter“ am Ende tatsächlich existiert hat oder nur das Hirngespinst einer Ehefrau ist, die ihren Mann mordet, weil der seine Zeit nur im Labor verbringt.

Obwohl der psychopathologische Feinmechaniker David Cronenberg in seinem 1985 gedrehten Remake nur das Grundmotiv beibehält, kommt er dem Gehalt der Geschichte näher. Der Kanadier weiß einfach Bescheid über techno-psychotische Konstellationen. In einer beiläufigen Szene will Bundles Freundin ihren aufdringlichen Vorgesetzten loswerden, der ohne zu sie fragen unangemeldet die Dusche ihrer Wohnung benutzt. Verärgert löst sie im Hinausgehen die Klospülung aus, wodurch das kalte Wasser abgezweigt wird und der unter der Dusche stehende Chef sich fürchterlich verbrüht. Später wird ihm der zur Fliege gewordene Brundle den Fuß mit Säure verätzen.

Wie nach einer Verbrennung dritten Grades nimmt sich die (nicht ohne Humor) minutiös in Szene gesetzte körperliche Mutation des Wissenschaftlers aus, nachdem sich seine Gene nach erfolgreicher „Teletransportation“ mit denen einer Stubenfliege vermischen. Aus dem Rücken wachsen fette Fliegenborsten, die Fingerkuppen lösen sich ab und bei einem Gespräch mit seiner Freundin (Gena Davis) fällt Brundle einfach das Ohr ab.

Sofern Brundles „Erfindung“ Menschen wie Bilder über den Äther funkt, würde dadurch das Transportwesen impodieren: Der Weg zum Friseur wäre ebenso weit wie zur dunklen Seite des Mondes oder nach Disneyland, nämlich einen Schritt. Der Traum von der Überwindung natürlicher, körperlicher Grenzen wird auf Kosten einer schmerzvollen Symbiose mit der Technik verwirklicht. In diesem Sinn ist Die Fliege eine Ausschnittvergrößerung von Cronenbergs 1982 gedrehtem Videodrome, wo bereits die Deformation der Erfahrungswelt durch audiovisuelle Medien in Form von techno-organischen Mutationen dargestellt wurde. Manfred Riepe