Kleinkariert

■ Der japanische Rigorismus ließ dem Kompromißgenie Gorbatschow keinen Spielraum

Kleinkariert Der japanische Rigorismus ließ dem Kompromißgenie Gorbatschow keinen Spielraum

Resigniert wandte sich gestern ein sowjetischer Journalist an das japanische Fernseh- Publikum: „Warum nur betrachtet niemand in Japan unsere Gespräche unter dem Aspekt, daß man Rußland helfen müßte?“ Eine Antwort bekam er nicht. Noch nie zuvor ist das Moskauer Verhandlungstalent und Kompromißgenie Michail Gorbatschow so knapp einem blamablen, möglicherweise folgenreichen Rückschlag seiner Außenpolitik entkommen wie gestern in Tokio. Auf alles oder nichts hatten seine japanischen Verhandlungspartner gesetzt. Bedingungslos forderten sie Land zurück, das ihnen der Kreml-Chef beim besten Willen nicht geben konnte. Denn mit ihm am Gesprächstisch saß eine Armee, die die Rückgabe der umstrittenen Kurileninseln als Selbstaufgabe ihres Weltmachtanspruchs interpretiert hätte.

Zeitgleich zu den Verhandlungen im Fernen Osten forderte Gorbatschow-Rivale Boris Jelzin, der als Präsident der Russischen Republik über die Kurilen mitregiert, daß als erster Schritt zur Versöhnung mit Japan allenfalls eine Anerkennung der Existenz eines Territorialkonflikts in Frage käme. Gorbatschow hatte es schon in Moskau vorausgesagt: An eine einfache Lösung der Kurilenfrage sei für ihn beim Besuch in Tokio nicht zu denken. Genau das konnten und wollten die japanischen Politiker nicht begreifen. Sie sahen „ihre“ Inseln greifbar nahe, hatten sich so viel Hoffnungen auf ein „Geschenk“ aus Moskau gemacht. Damit wäre ein langjähriger Traum japanischer Außenpolitik in Erfüllung gegangen. Die Supermacht hätte sich Nippon gebeugt.

Die japanische Wunschvorstellung, Gorbatschow mit ein paar Milliarden einzukaufen, entspringt dem neuen Selbstvertrauen der fernöstlichen Wirtschaftsmacht. Mit Geld, so lautet das Erfolgsrezept der Tokioter Machtpolitiker, läßt sich alles richten. Erst kürzlich ist das Golfproblem mit einer Kriegsspende von 13 Milliarden Dollar erledigt worden. Die Annäherung zwischen Japan und China stand nie unter dem Zeichen historischer Aussöhnung — auch hier bestimmen Tokioter Milliardenkredite den bilateralen Takt. Vielleicht hat Michail Gorbatschow diesen unbeugsamen japanischen Pragmatismus unterschätzt. Seine historischen Worte der Aussöhnung, die sich im Westen immer auch am Verhandlungstisch auszahlten, bestachen in Tokio niemanden. Gerade einmal höflichen Applaus zollten die japanischen Parlamentarier den neuen Vorschlägen des sowjetischen Präsidenten. Der sprach von einem asiatischen Helsinki, vom Primat der Menschenrechte auch hier, von Abrüstung und gemeinsamen Gesprächen mit den USA. Nippons Regierung hielt die Ohren zu.

Damit weigerte sich Tokio zum wiederholten Male, im neuen Koordinatensystem der Weltpolitik nach Ende des Kalten Krieges seine Position neu zu bestimmen. Man sieht dafür offenbar keinen Bedarf. Im Verhältnis zur UdSSR, so hat man entschieden, ist kein Erfolg zu verbuchen — es sei denn, die Inseln werden zurückgegeben. Erst gestern morgen bestätigten die Spitzen der Regierungspartei diese Position. Sie entstammt freilich eher den Erfordernissen einer kleinkarierten Innenpolitik denn weltpolitischen Überlegungen.

Für die Gesamtregion Ostasien lassen sich damit keine Fortschritte erzielen. Schon bei den Gesprächen zwischen Gorbatschow und dem südkoreanischen Präsidenten Roo Tae Woo am heutigen Freitag wird sich zeigen, daß keineswegs unüberwindbare kulturhistorische Schranken die Verständigung zwischen Moskau und seinen fernöstlichen Nachbarn behindern. Auch sind die ideologischen Barrieren des Kalten Krieges in Asien nicht weniger obsolet als in Europa. Im Eiltempo erobern die südkoreanischen Unternehmen derzeit ihr sibirisches Nachbarland. Doch Tokio macht nicht mit. Michail Gorbatschow hat das in Japan bitter zu spüren bekommen. George Blume, Tokio