Nach Tschernobyl 576.000 Strahlenkranke

Berlin (taz/ap/dpa) — Die sowjetische Regierung hat nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl insgesamt 576.000 Menschen mit Strahlenschäden registriert. Etwa 300.000 von ihnen werden weiterhin medizinisch betreut. Das berichtete jetzt der Leiter der staatlichen Tschernobyl-Entseuchungskommission, Viktor Gubanow. Aus dem am stärksten strahlenverseuchten ukrainisch-weißrussischen Gebiet seien bisher 188.000 Menschen evakuiert worden. Die Umsiedlungsaktionen dauerten an, sagte Gubanow. Allein 1991 müsse die Sowjetunion etwa 10,3 Milliarden Rubel (knapp 10 Milliarden Mark) für die Tschernobyl-Folgen aufbringen — mehr als in den Jahren 1986 bis 1989 zusammen.

Gegenüber der Nachrichtenagentur 'Tass‘ zeigte sich der stellvertretende Gesundheitsminister Alexander Kondrusew besorgt über Berichte, wonach „entgegen allen Verboten“ immer mehr Menschen in die Sperrzone um Tschernobyl zurückkehren. Gegenwärtig lebten wieder etwa 1.000 Menschen völlig „ohne medizinische Versorgung“ im Umkreis von 30 Kilometern um den Unglücksreaktor.

Von den in den vergangenen Tagen kolportierten Opferzahlen zeigte sich die Moskauer Zentralregierung unterdessen weiter unbeeindruckt. Nach Angaben der „Expertin“ im Gesundheitsministerium, Angelina Guskowa, hat die Katastrophe bis heute 32 Menschenleben gefordert. Zu Berichten, daß seit dem Unglück mehr als 7.000 Menschen gestorben seien, meinte sie, dies sei eine nachvollziehbare Schätzung aller Toten, die es im Katastrophengebiet in den letzten fünf Jahren aus den verschiedensten Ursachen gegeben habe. Die Qualität dieser Aussage mag eine kleine Rechnung verdeutlichen: Etwa vier Millionen Menschen leben in den verseuchten Gebieten. Bei einer (geschätzten) durchschnittlichen Lebenserwartung von siebzig Jahren sterben dort in einem Zeitraum von fünf Jahren im Mittel 285.000 Menschen eines natürlichen Todes — nicht 7.000, wie die Expertin aus dem Gesundheitsministerium meint. gero