: Geschichtsverputz in der Nollendorfstraße
■ Der östliche Teil der Nollendorfstraße in Schöneberg wurde zur historisierten Fußgängerzone umgemodelt
»Unter meinem Fenster die düstere Straße, eine massive Pracht. Kellerläden, in denen tagsüber Licht brennt, im Schatten gewaltiger, balkongeschmückter Fassaden, schmutziger Stuckfronten mit hervorquellenden Schnörkeln und heraldischen Symbolen. Das ganze Viertel ist so: straßauf, straßab Reihen von Häusern, gleich schäbigen Reisegeldschränken, die vollgestopft sind mit den verblichenen Kostbarkeiten und mit den zweitklassigen Möbeln einer bankrotten Mittelschicht...« Düster, verschnörkelt, schmutzig sah sie also aus, die Nollendorfstraße, als sich der damals noch erfolglose englische Schriftsteller Christopher Isherwood im Jahre 1929 in ihrer Nummer 17 einmietete. Isherwood wurde später mit seinem Buch Good bye Berlin als Vorlage des Films Cabaret berühmt, die Nollendorfstraße nicht. Düster, verschnörkelt, schmutzig sieht sie immer noch aus und hat sich doch völlig geändert, denn jetzt ist sie verputzt mit falschem historischem Glimmer.
Jedenfalls der Teil östlich der Maaßenstraße, dessen einheitliche Altbaufront in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre von der Neuen Heimat saniert und der danach zu einer Fußgängerzone umgewandelt wurde. Die Nollendorfstraße westlich von der Maaßenstraßen, wo heute die Gedenktafel für Isherwood hängt, ist hingegen eine ganz normale Straße geblieben, mit lautem Verkehr und Kneipen und Geschäften.
All das hat man aus der Fußgängerzone verbannt. Wo früher 69 Gewerbetreibende Unterschlupf fanden, sind heute gerade mal drei Lokale übriggeblieben. Statt dessen aber hat man Straßenschilder in altdeutscher Schrift aufgehängt und ein grünes Brünnlein in die Mitte des Pflasters gestellt — wollte man ein Freilichtmuseum aufbauen? »Kein Trinkwasser!« warnt ein Schild am Brunnen, an dessen Fuße sich eine häßliche Dreckpfütze gebildet hat, und: »Verunreinigungen der Straße und Störungen durch vermeidbaren Lärm sind verboten.« Gehört das Lachen der Kinder auch zu »vermeidbarem Lärm«? Ach, mach dir keine Sorgen: Auch die Kinder haben wenig Lust, hier zu spielen. Mangels Gewerbe sieht die Straße aus wie tot. Wenn man Geschichte einsetzt wie ein falsches Gebiß, dann wirkt sie düster, unecht, unheimlich. Die aufgestellten Bänke und die ins Pflaster gepflanzten gittergeschützten Bäume ignorierend, rennen die meisten Menschen hier nur durch. Diese Fußgängerzone ist die einzige tote Straße in einem lebendigen Kiez.
Doch die Lebendigkeit weckt auch Begehrlichkeiten. Galerien, Boutiquen, Antiquitätenhändler machten sich in der Gegend breit und leiteten die Yuppisierung der Gegend ein, das Publikum auf dem Winterfeldtmarkt am Wochenende sei schon wie an der Cote d‘Azur, beklagt sich Gerd Eichmann. Er ist Mitglied der nach Nollendorf- und Zietenstraße benannten Mieterinitiative Nollzie e.V., die in einem kleinen Laden der Fußgängerzone ihren Sitz hat.
Das Bild vom »toten« östlichen und »lebendigen« westlichen Part der Nollendorf mag Eichmann so nicht teilen: Zwar hätten die Mieter in dem historisierten Teil der Straße wegen Sanierungspfusch und fragwürdiger Finanzmethoden nicht wenig Streit mit der Neuen Heimat gehabt, berichtet er. Aber der Ärger mit Privat- und Luxusmodernisierung, den nunmehr die Mieter im anderen Teil der Nollendorfstraße erleben, sei inzwischen auch immens. »In fünf oder zehn Jahren, wenn sich die Bonner Ministerialbürokraten hier einkaufen, wird die Gegend hier nicht mehr wiederzuerkennen sein«, befürchtet er.
Müssen Isherwoods Zeilen dann umgeschrieben werden?: »Das ganze Viertel ist so: straßauf, straßab Reihen von Häusern gleich Reisegeldschränken, vollgestopft mit Kostbarkeiten und erstklassigen Möbeln der Oberschicht...« Ute Scheub
Folge 8 am Mittwoch: Oranienburger Straße
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen