Berliner Kunst im Crashkurs

■ 21. Freie Berliner Kunstausstellung 1991 unterm Funkturm

Wenn das mal nur keinen Unfall gibt! Hoffentlich bringt nicht der Anblick eines blutigen Damenslips auf 9 qm oder ein wie gehäutet wirkender Hirsch die Autofahrer aus der Avusspur. Denn die 30 Bildtafeln, die als schockierendes Aushängeschild der diesmal in die hinteren Messehallen verbannten FBK an der Außenwand prangen, sind von der Autobahn aus sichtbar. Ein Bericht von

Katrin Bettina Müller und

Rolf Lautenschläger.

Ein Gutes aber hat die Kunst an der Außenwand: schlimmer kann es nicht mehr werden. Gefaßt betritt man so die einundzwanzigste FBK, an der sich wieder über 2.000 Künstler beteiligen. Wenn auch erstmals 300 Teilnehmer aus dem Ostteil der Stadt kommen, besteht trotzdem kein Grund zur Angst vor Unbekanntem. Paritätisch in eine abstrakte und eine figurative Hälfte geteilt, trotzt die »Freie Abteilung« dem Ansturm modischer Neuheiten. Von den 82 beteiligten Gruppen aus Profis, Amateuren und Laien, Vereinen und Verbänden, waren 63 schon im letzten Jahr dabei; gut fünfzig feiern sicher seit vielen Jahren auf der FBK ihr Heimspiel. Daß sich einige Künstler nur zum Zweck besserer Bewerbungschancen für die FBK zu einer Gruppe zusammenschließen, ohne ein verbindendes Konzept, rächt sich bitter: in den Sammelsurien ihrer Kojen vergeht die Lust auf näheres Bilderstudium. Da zieht man sich lieber die Ansichten von Kneipen, Cafés, Imbißbuden und Restaurants der »Arbeitsgruppe Berliner Architekturmaler« auf einen Schlag rein als mit lyrischer Abstraktion und sozialkritischer Materialassemblage durchsetzt.

Die Narben der Kunstpraxis des Dr. Mc Coy

Zeitgemäße Ausdrucksmittel wie Computersimulation, Ton-Bild-Collagen oder videotechnische Installationen scheinen auf der FBK verpönt, zu teuer oder beinahe unbekannt, findet sich doch nur bei den Studenten der HdK der Versuch, diese anzuwenden. Die Box »Praxis Dr. McCoy«, ein lustiges Horrorkabinett mit elektronisch-pneumatischen Objekten, flimmernden Videobildern und heimatlichen Schlagern, symbolisiert einen Totentanz westlich pervertierter Zivilisation zwischen Medien und Computern: Gefressen werden wir von Fernsehröhren. »Blutgummi«-Romane sind unser täglich Brot. Ein hilfloses Zappeln und Zittern bleibt zwischen dem nächsten Stromschlag und der Schocktherapie als einziger Reflex — eine Reminiszenz an Jim Whitings pneumatische Science-Fiction-Figuren. Über aller Restreaktion und eingeschweißter Fäulnis schwebt ein sarkastischer Duft von Geisterbahn. Die lemurenhafte Orgie gleicht einem Feldlazarett á la M.A.S.H., wo nichts mehr geht als ein irres Lachen angesichts des täglichen Wahnsinns.

Die unterschwelligen Bilder der Praxis Dr. McCoy scheinen exemplarisch für die Arbeiten der HdK-Studenten. Unsere Krankheiten, Narben, Beschädigungen und Häutungen werden kunstvoll thematisiert: so läßt Ute Weiß-Leder 90 aufgehängte Papierfahnen wie abgelegtes Leben zum Trocknen im Wind flattern. Susanne Pomrehms unter Glas verschlossene Schuppen erzählen von abgestorbenen Hüllen und Verwesungen. Ein Frauenkopf von Claudia Weihrauch starrt blind und kahl ins Nichts. Die Nase ist eingeschlagen, die Haut aufgeplatzt, aus den Ohren quillt Blut. In der Praxis Dr. McCoys würde ein Schädelbasisbruch diagnostiziert werden.

So entwerfen die Kunststudenten der HdK — mit großen Ausnahmen selbstverständlich — derzeit ein eher ramponiertes Bild unserer noch ramponierteren Wirklichkeit. Da blinkt am Horizont nicht mehr der Silberstreifen, sondern es blitzt nur mehr der Horror auf. Das ist natürlich ebenso richtig wie modisch und tut dennoch keinem mehr weh, weil die Themen wie die Formen längst zum Repertoire gehören.

Von Gold bis Kacke für Deutschland ist jedes Mittel erlaubt

Um die Absurdität des pluralistischen Nebeneinanders in der FBK einmal so recht auszukosten, lassen sich etwa die künstlerischen Formulierungen, die deutsche und speziell die Berliner Geschichte des letzten Jahres betreffend, quer durch alle Abteilungen studieren. Von Gold bis Kacke ist jedes Mittel erlaubt:

Abstrakt gestaltet Pit Mischke die Flucht in den goldenen Westen und läßt zwei Pfeile aus einer dunklen steinigen Fläche in den nebenliegenden Goldgrund hinüberschießen. Burkhard Vossmann hat in Berlin den internationalen Abfall der durch keine Grenzen mehr behinderten Besucher gesammelt und aus Zigarettenschachteln aller Länder ein großes Bodenmosaik zusammengesetzt. Mit einer Fotodokumentation vom Abbau des Checkpoint Charlie begnügt sich Vera Lichtenberg, während Ute- Martrud Allner unter dem dramatischen Titel Durchbruch — Das war nicht mehr aufzuhalten ein unbemanntes Fahrrad so schnell durch eine niederbröckelnde Mauer schießen läßt, daß die Fotografie aktionsbetont verfremdet ist.

Rolf Schubert prophezeit Die Rückkehr Moses: In seinem Ölgemälde stürzt der Prophet mit wallenden roten Gewändern, die Gesetzestafeln in der Hand, aus dem Himmel auf eine Lücke in der Berliner Mauer zu, durch die sich Schlangen als Botschafter der Sünde ringeln. Die Gruppe Terra fährt Schubkarren, gefüllt mit Briketts und Leninbänden, auf, aus denen sich hilflos gelbe Gummihandschuhe recken, während Sigrid Boese-Pirschel ihren Antikommunismus im Schweine-Comic auslebt: Rotbefrackte SED-Schweine tanzen um die deutsche Eiche und am Horizont mahnen Grabkreuze. Mit spitzen Fingern ergreift eine große von Ingrid Tönnishoff von Guennigfelde genähte Silberhand ein laubgesägtes Deutschland, beklebt mit Wirtschaftsanzeigen aus den fünf neuen Bundesländern. Frank Braun hält den Holzklotz Deutsche Einheit, in dem noch die Säge steckt, mit der Schraubzwinge zusammen. Mit der ganzen Wucht einer expressiven Malerei und einem dreimal gewendeten Symbolismus deutet Klaus-Dieter Krause prominente politische Morde um. In seinem Bild Die Erschießung des Marat läßt er eine gekreuzigte Figur, die ein Schild »Währungsuninon« um den Hals trägt, aus Gewehrläufen erschießen, auf denen »Kaderakte« steht.

Während Jörg Gericke Kanzler Kohl als Kaiser auf einem schwarzrotgoldenen Klodeckel porträtiert, hat Kerstin Warnow in ihrer Bebra Installation Porträts und Urkunden von deutschen Schäferhunden gesammelt und mit dem Verfremdungseffekt eines eingeschleusten Pin-up-Girls an der Wand aufgereiht. Ordentlich kringelt sich unter jedem Bild ein braunes Häufchen.

Zeugnis vom Jahr 1990 ohne Deutschland legt dagegen Christa Lustig ab: Unter dem Titel Meditative Disziplinierung hat sie für jeden Werktag einen Löffel gehäkelt und für Sonn- und Ferientagen einen aus Papier geschnitten. Soviel schlabbrige Privatheit ist nach dem Aufmarsch der Geschichte richtig erholsam.

Dunkel begraben im Hallenmief

Die zwei großen »Skulpturengärten« an den beiden Stirnseiten der Ausstellungshalle stehen sich in ihrer Bedeutung diametral entgegen. Auch klagen sie jetzt schon zum x-ten Mal für sich ein besseres Raumkonzept ein. Im Hallenmief und ohne Licht und Schatten werden die Skulpturen zu Grabsteinen ihrer selbst. Die Plastik benötigt den Raum für sich in doppelter Weise.

So fristen die Skulpturen gleich am Eingang der Halle ein dürftiges Dasein, bei dem Spannung im Raum, Zustände der Dichte oder Farbigkeit vielfach verlorengehen. Zugleich herrscht eine fast klassische Auseinandersetzung mit dem Thema »Figur« vor, ohne die Krise der Moderne auch darin sehen zu können. Stehend, liegend, hockend oder knieend folgen die Skulpturen dem Muster heroischer Athleten und archaischer Göttergestalten. Der Verlust an Substanz scheint wieder fragwürdig geworden zugunsten dick-barocker und glatt gegossener Größe. Gerade hier sollten die zerrupfte Vogelschwinge von Gradzyna Bielska und die ihr benachbarte Krankenbahre Phönix von Elmar Jeschke als Zeichen des Transitären wirken gegen die steinharten Krusten und massigen Torsi.

Verletzungen, ja Verbrennungen statt dessen sieht man im zweiten Skulpturengarten, wo die Gruppen Tacheles e.V. und Unwahr mit ihren verkohlten Strohpuppen zwischen Schrott- und Müllfiguren ein produktives Unwesen treiben. Die Kleinen tragen eine hochfliegende Illusion zu Grabe, nämlich Kunst und Leben als selbstbestimmten Aufbruch im »befreiten« Teil Ostberlins zu wagen — ohne Erfolg, wie sich bis heute zeigt. Der anarchische Blickwinkel aus traurig flügellahmen Figürchen und einer großen Collage aus wilden, chaotischen Accessoirs und vorwärtstreibenden Eisenmenschen machen aus dem Environment einen absurden Demonstrationszug voll jäher, schriller Signalwirkung.

Vom Einzelbild zur Boxinstallation

Gegen die konventionelle Bestückung des Kunstwarenlagers FBK haben sich einige Künstler und Gruppen Konzepte überlegt, um auf die Situation der Kunst als Masse zu reagieren. Da beispielsweise bei größeren Arbeiten die Transportprobleme eine nicht unerhebliche Rolle spielen, hat es Cornelia Behme bei einem praktisch zu transportierenden und doch auffällig zu plazierenden Stapel aus 10 leeren Umzugskartons belassen. Auf den Spielort der Hallen als Warenmustermesse bezieht sich Thea Doro mit ihrer Boxinstallation d'oros goldene kundenkarte, in der Tapetenmuster mit schmalen Bändern aus Schnipseln von Checkkarten, Ausweisen und Eintrittskarten gerahmt stilecht eine Empfehlung von »Schöner Wohnen« simulieren. Gegen den Aufmarsch der großen Formate setzt das Atelier Bomba Colori eine intime Miniaturenkammer mit wenigen handtellergroßen, die Nahsicht erfordernden Bildern und Skulpturen. Die Box der Gruppe Der Kongress bietet in rotausgemaltem Ambiente ein Buch auf einem Lesepult an. Ihre wenigen Quadratmeter Ausstellungsfläche begreift auch der Club 2000 als Großskulptur: sie haben ihre schwarzgestrichene Box als begehbare Lochkamera eingerichtet, in der man ein schwaches umgedrehtes Bild der gegenüberliegenden Caféteria empfangen kann.

In der Nähe dieses Cafés installierte die Gruppe Urban Art, traditionell verpflichtet zur moralischen Aufrüttelung des Publikums, ihre Sammlung von Toastbrotscheiben »Brot für die Welt«. Wer nach Christus noch alles die Speisung der Zehntausend versprach, findet sich hier aufs fast nährwertlose weiße Scheibchen siebgedruckt: Bhagwhan, Stalin, Hitler, Goethe, Che Guevara, Mao, Honecker, Marx... Nur unwesentlich frischer als diese ollen Köppe sind übrigens die vom Messe-Snack offerierten Toastbrotscheiben, mit denen Vorlieb nehmen muß, wer so leichtsinnig war, sich ohne Vesperpaket in die FBK zu wagen.

Schlußwort aus Künstlerhand

Im Eingang der FBK hat der BBK (Berufsverband bildender Künstler) noch einmal seine Forderungen nach einem öffentlich geförderten Atelierprogramm ausgehängt. Kunst aus Berlin, die hier gnadenlos eher mit Quantität als Qualität wirbt, verliert zunehmend ihre Produktionsorte. Die Austrocknung des kreativen Sumpfes, ohne den die schillerndsten Blüten nicht treiben, und die Verschickung der Künstler aufs Land droht; daß es der Szene aber schon jetzt weniger an idyllischen Fluchten, denn an urbanen Reibungen mangelt, belegt wieder der ungeschützte und kaum durch Kriterien gefilterte Blick in die Kunsttiefen der Stadt.

Für Notizen, die FBK und seine Situation als Künstler im besonderen und die der Berliner Ateliernot überhaupt betreffend, nutze Thorsten Schneider seine Leinwand: »Dieses Bild ist nicht fertig. Die Gesobau hat dem Künstler gekündigt. FBK Vorschläge hier aufschreiben. Gewendet noch gut zu gebrauchen. Den Finger in den eigenen Arsch stecken.« Also enthalte man sich gutgemeinter Ratschläge.

Freie Berliner Kunstausstellung e.V., in den Messehallen 9a, b, c am Funkturm, Eingang Messedamm. Bis 12. Mai, täglich geöffnet 10-19 Uhr. Eintritt 5/3 DM. Der Katalog kostet 20 DM.