Papier sendet nicht

■ ARD-Werbetreff diskutierte die Rundfunkneuordnung in den neuen Bundesländern

Der Unterhaltungswert, den medienpolitische Fragen gemeinhin haben, ist gering. Um so erstaunlicher, daß das dröge Thema „Rundfunk in den fünf neuen Bundesländern: Neuordnung im Kreuzfeuer von Politik und Medien“ auf dem diesjährigen ARD-Werbetreff, vor einem primär werbetreibenden Auditorium also, augenscheinlich Interesse fand. Das lag nicht zuletzt an Jobst Plog, dem Intendanten des NDR, der als düpierter Brautwerber — er hatte in langen Verhandlungen dem neuen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern das Angebot gemacht, viertes Rad am gemeinsamen Wagen NDR zu werden — betroffen und deshalb engagiert vom Leder zog. „Politische Entscheidungen werden nicht von Vernunft geleitet“, das war der lapidare Kommentar des sichtlich Enttäuschten zum ausgehandelten Plan einer Mehrländeranstalt Nordostdeutscher Rundfunk (NOR), bestehend aus Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Hatte Plog das Argument von den gewachsenen kulturellen und landsmannschaftlichen Gemeinsamkeiten mit dem nördlichsten der neuen Länder auf seiner Seite, so führte sein Gegenspieler, der ansonsten wenig überzeugende Günther von Lojewski, Intendant des SFB, die Gemeinsamkeiten in der Not ins Feld: Im NOR schließt sich eine Region zusammen, die ihre Identität sucht. Hier existieren andere Befindlichkeiten und da hat das Medium eine entscheidende Rolle. Mit beißendem Spott überzog Plog aber nicht nur den SFB — „der Sender, der selbst im eigenen Umland Akzeptanzprobleme hat, soll jetzt in Führung gehen“ — sondern auch die Vereinbarung einer gesplitteten Intendanz, wonach der Hörfunkdirektor in Schwerin, der Fernsehdirektor in Potsdam, aber die Intendanz in Berlin sitzen soll. „Das“, so Plog, „kann doch nur unter dem Aspekt Komik erörtert werden.“ Indes ist die parlamentarische Hürde dieses Planes noch lange nicht genommen, denn eine von der Mecklenburgischen SPD beantragte Sondersitzung des Landtages soll am Dienstag kommender Woche die Rundfunkfrage erörtern. Nicht nur die oppositionelle SPD, auch der kleine Koalitionspartner FDP plädiert für ein Zusammengehen mit dem NDR. Und am Rande der Veranstaltung war zu erfahren, daß es in Brandenburg auf breiter parlamentarischer Ebene einen Konsens gibt, der besagt: „Mit dem SFB alleine, niemals!“ Kaum auszudenken was passiert, sollte der geplante Deal also platzen, denn, so der Berliner Bürgermeister Eberhard Diepgen: Schon Berlin-Brandenburg wäre nicht lebensfähig gewesen und hätte zur Isolierung geführt.

Als engagierter Anwalt der „Anstalt“ — die Institution, die das ehemalige DDR-Fernsehen und den Rundfunk bis Ende des Jahres in föderale Strukturen überführen soll — erwies sich indes der für den erkrankten Rundfunkbeauftragten Rudolf Mühlfenzl eingesprungene Roland Tichy. Er verwies darauf, daß es Aufgabe seiner Institution sei, den alten Rundfunk nicht abzuwickeln, sondern zu überführen und entlockte Diepgen die Aussage, daß auch Programmteile und technische Einrichtungen übernommen werden könnten. Bisher hatte es lediglich geheißen, daß nur einzelne Bewerber bei einer Wiedereinstellung eine Chance hätten. Wenig Trost für die Rundfunkschaffenden im Ostteil Berlins, die im NOR-Papier noch nicht einmal Erwähnung fanden.

Mit dem Satz: „Papier sendet nicht“ prägte Tichy schließlich nicht nur eine schöne Metapher, sondern verwies auch auf das Problem, daß im Ostteil Deutschlands außer dem SFB keine sendefähigen Institutionen existieren und die politischen Entscheidungen auf sich warten lassen. Das war indes auch der kleinste gemeinsame Nenner aller Diskutanten, daß bis Jahresende die Zeit verdammt knapp wird. Die versammelten Werbeleute verfolgten dies alles gespannt und interessiert, ein paar Klatscher hier, ein paar dort. Donnernder Applaus allerdings an einer Stelle: als nämlich der WDR-Intendant Friedrich Nowottny bei seiner Begrüßung die Aufhebung der 20-Uhr-Werbegrenze forderte. Aber das ist ja allzu verständlich, schließlich ist einem das Hemd näher als der Rock. Karl-Heinz Stamm