Phantombild Jugend

Anmerkungen zu einem Workshop über die Zukunft der Jungendprogramme im Fernsehen  ■ Aus Berlin Ute Thon

Ein namenloser 19jähriger aus Norddeutschland sitzt abends vor der Glotze. Frei von elterlichen Repressionen stellt er sich aus rund 20 Kabelkanälen sein individuelles TV- Menü zusammen. Erst ein bißchen Aktuelle Stunde, dann zehn Minuten Länder — Menschen — Abenteuer. Nach eifrigem hin- und herschalten bleibt er schließlich bei einer Sendung hängen, deren Jugendlichkeit sich allenfalls in der Naivität des dargebotenen Liedguts ausdrückt. Seine Aufmerksamkeit gilt Karl Moiks Musikantenstadl in der ARD, während im ZDF Carol Reeds Agentenklassiker Der dritte Mann ebenso ungesehen vorbeirauscht wie der amerikanische Serienkrimi auf Tele5. Nur in den US-Spielfilm bei Pro7 switcht er sich zwischendurch kurz rein. Später schaut er noch die Ziehung der Lottozahlen, die Tagesschau und Das Wort zum Sonntag, um sich schließlich mit einem italienischen Spielfilm tv-mäßig den Rest zu geben. Ein typischer Fall?

Medienforscher Dr. Walter Klingler präsentierte jedenfalls dieses Schreckgespenst jedes zielgruppenorientierten Jugendfernsehmachers am Ende seines Vortrages zum Thema „Programmakzeptanz und Fernsehnutzung von Jugendlichen“. Den dazugehörigen Workshop zur Zukunft der Jugendprogramme hatte Rias-TV am vergangenen Mittwoch in Ostberlin organisiert und als Kooperationspartner das Marler Adolf- Grimme-Institut gewonnen. Dessen jugendlicher Leiter Lutz Hachmeister (31) eröffnete die Tagung sogleich mit der ketzerischen These, daß es Jugend in dem Sinne gar nicht gebe. Und die Ausführungen des SWF-Demoskopen Klingler verdeutlichten, in welchem Dilemma sich Jugendfernsehmacher und Empiriker gleichermaßen befinden. Der typische Jugendliche ist ein Phantom. In ihrem TV-Verhalten unterscheiden sich 14- bis 19jährige nur unwesentlich von ihren Eltern. Zwar sehen sie insgesamt weniger fern, aber wenn, dann rangieren Serien, Spielfilme, Krimis und Unterhaltungssendungen ganz oben. Spezielle Jugendprogramme liegen dagegen weit abgeschlagen unterhalb der 5-Prozent-Quote.

Für die Programmmacher ist die Ursache dieses Problems schnell ausgemacht. Jugendsendungen erhalten schlechte Sendeplätze. Nur selten schafft ein Magazin den Sprung ins Abendprogramm, obwohl die meisten Jugendlichen erst zwischen 18 und 22 Uhr vor der Glotze anzutreffen sind. Mit dem Todschlag-Argument der „schlechten Quote“ werden unbeliebte Sendungen allzugerne wegrationalisiert, obwohl Quoten allein wenig über die tatsächliche Qualität einer Sendung aussagen. Aber wie soll man Qualitätskriterien entwickeln bei einer Zielgruppe, die so schwer faßbar ist? Weitgehende Einigkeit herrschte bei den Workshopteilnehmern darüber, daß die pädagogisierende Jugendarbeit der 70er Jahre „out“ und Clip-Ästhetik „in“ ist. Bestimmendes Element der Jugendkultur ist heute wie damals die Musik. Die Mediennutzung ist vielfätiger geworden. CD-Player, BTX und Videothek gehören längst zum Jugendalltag.

So wurde auf der Tagung nur noch zaghaft nach „Fernsehkunde“ in der Schule gerufen, um den Kindern den richtigen Umgang mit dem bösen Medium beizubringen. Und die Forderung nach Videowerkstätten und Offenen Kanälen als kreative Zukunftsperspektive hatte wohl mehr mit dem Ort der Veranstaltung zu tun. Während sich die medienpolitische Debatte um bürgernahen, partizipatorischen Rundfunk in den alten Bundesländern längst als Rohrkrepierer entpuppt hat, verkauft man ihn in den FNL als emanzipatorische Heillehre. Da sind die Jugendfernsehmacher aus Adlershof bereits weiter. Die Elf 99-Crew produzierte schon vor der Wende ein flott magaziniertes Jugendprogramm mit Videoclips, aktuellen Reportagen und Interviews, das sich bei ostdeutschen Jugendlichen ungebrochener Beliebtheit erfreut. Trotzdem wird die Elf 99Redaktion wie alle DFF-KollegInnen von Abwicklungsangst geplagt. Die teilen sie im übrigen mit der High Live-Mannschaft von Rias-TV. Denn was die medienpolitische Zukunft für ihre Sender bringen wird, ist weiterhin unklar.

Die Bandbreite der vorgestellten Jugendsendungen variierte zwischen musikorientiertem Videomix (Ragazzi, RTL), monothematischer Diskussionssendung (Doppelpunkt, ZDF) und Magazinen mit Schwerpunktthema (Moskito, SFB; Jetzt kommt's, NDR; High Live, Rias-TV). Woher die MacherInnen dieser Sendung die Gewißheit nehmen, daß ihr Konzept die Jugendlichen erreicht, blieb bis zum Ende ihr Geheimnis. Einen praktikablen Ansatz zur besseren Definition von Jugend bot der Bielefelder Soziologe Dr. Dieter Baacke. Er versteht Jugendlichkeit als Habitus, der altersunabhängig ist. Tatsächlich scheinen die Jugendphasen heute fließend, 18jährige wirken unter Umständen abgeklärter als ihre Eltern und das gesellschaftliche Dikat der Jugendlichkeit läßt umgekehrt manchen 50jährigen noch zu Jeans und Turnschuhen greifen. Unter diesem Gesichtspunkt müßten jugendliche TV- Programme größte Erfolgschancen haben. Baackes Tips für Jugendprogramm-MacherInnen waren darum ebenso simpel wie überzeugend: „gut programmplaziert, subversiv, tabu-überschreitend, provokativ, originell, experimentell“. Ein Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung seiner Thesen hätte das WDR-Magazin ZAK bieten können. Nicht ausdrücklich für Jugendliche produziert, findet das respektlos-bissige Politmagazin gerade bei jüngeren ZuschauerInnen enormen Zuspruch. Vertreter dieser Redaktion fehlten leider auf dem Workshop.

Jugendfernsehen als avanciertes TV-Programm — da könnte die Zukunft liegen. Wie die Anstaltschefs darüber denken, sprach WDR-Programmdirektor Günter Struve aus, indem er den Maus-Erfinder Friedrich Streich zitierte: Der Unsinn mit dem Jugendfernsehen solle endlich aufhören.