Schlafmützen, unbehaust

■ Jürgen Müller-Othzen über die Freie Theaterszene in Bremen, über ein Theaterhaus und andere denkbare Wiederbelebung

Jürgen Müller-Othzen: „Die Szene stagniert...

Dutzende von Gruppen gibt es noch, die Zahl täuscht Vielfalt vor. Tatsächlich ist das Freie Theater in Bremen in beklagenswürdige Lähmung verfallen. Lang schon litt es an finanzieller Auszehrung. Und bald werden es womöglich die letzten guten Geister verlassen und woandershin ziehen. Die Frage ist, welche andere Kulturpolitik ein anderes Freies Theater verdienen könnte. Die taz sprach darüber mit Leuten, die es wissen müssen: Jürgen Müller- Othzen ist künstlerischer Leiter des Freiraum-Theaters und hat die Szene beeinflußt wie kein zweiter, Reinhold Schäfer ist Schauspieler.

taz:Wenn ihr euch in Bremen freies Theater anschaut: Überrascht euch da noch was?

Jürgen Müller-Othzen: Zur Zeit nicht sehr viel. Aber anderswo auch nicht mehr. Am ehesten noch das Tanztheater.

Was soll überhaupt noch das Freie am Freien Theater sein?

Schwierig. Das etablierte Theater hat in den letzten 25 Jahren viel von uns gelernt. Umgekehrt nicht so sehr. Das kommt jetzt erst: Daß ein gutes Handwerk schon okay ist. Da doppelt man jetzt nach. Leider steckt darin auch die Gefahr eines Rückzugs. Auf alte Stoffe zum Beispiel, auf alte In

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von dem schwarzhaarigen

nachdenklichen

Mann

(Hand am Kinn)

halte. Das Freie Theater ist ja mal angetreten in Gegnerschaft zum etablierten. Ellbogen raus, aufsprengen, kucken, was rauskommt. Die Devise kam von Peter Brook: „Das Theater braucht seine permanente Revolution“. Heute sind die alten Gräben zugeschüttet. Oft ist damit auch die Risikofreudigkeit des Freien Theaters nivelliert. Und die etablierten Häuser können vieles besser machen, und mit mehr Geld.

Was fehlt? Das geneigte Publikum? Die frischen Stücke?

Es gab doch mal den Mut zu sagen: Was brauchen wir Stücke? Sind wir nicht Leute, die selber erleben, was in der Welt passiert? Man hat Zeitung gelesen. Und ist viel gereist. Wir haben uns ja viel aus Asien, aus Polen geholt.

Jetzt ist das Völkchen seßhaft und bieder geworden.

Eine Entmutigung. Andere haben sich ja die Phantasie angeeignet.

Und das macht gleich so müde?

Nicht müde. Nur, die bremische Szene ist gerade dabei, sich aus einer gewissen Notlage heraus zu institutionalisieren. Im Lagerhaus Schildstraße bildet sich ein Organisationsbüro, wo man versucht, eine Trainingsbörse zu machen. Und auch die Leute, die für eine Produktion nötig sind, zusammenzubringen: Musiker, Grafiker, Schauspieler, Drucker. Ein wichtiger Ansatz. Aber es absorbiert Energie. Das Freiraum zum Beispiel ist ein richtiges Institut geworden. Da mußte je eine eigene Arbeitsbasis her: eigene Räume, Büros, eigene Infrastruktur, eigene Kontakte. Und Kohle.

Reinhold Schäfer: Damit muß man heute früh anfangen. Sonst geht nur noch Straßentheater.

Gleichzeitig, wohl ebenfalls aus Not, atomisiert sich die Szene. Es gibt kaum mehr größere Gruppen. Schon Trios sind eine Seltenheit.

...gute Leute gehen weg. Wer sollte da kommen, um...

Mit mehr Leuten findest du auch keinen Veranstalter, der dich engagiert. Es würde denen zu teuer.

Reinhold Schäfer: Das ist so ein Gegensatz zur Idee der Freien. Es ging ja immer um Gruppenarbeit, um den sozialen Aspekt.

Aber die Kleinen hätten doch den Vorteil der Beweglichkeit.

Kommt drauf an, was man will. Wir haben Seminare, die grundsätzlich ans Schauspiel herange-

hen und zum Wagnis ermuntern. Dafür haben wir die besten Leute — und Schwierigkeiten, den Kurs vollzukriegen. Bei anderen rennt man uns die Bude ein. Das sind die, in denen man hofft, schnell ein paar knallharte Techniken und Methoden zu lernen. Die Leute gieren nach dem, was sie brauchen, um vorzusprechen. Ganz böse gesagt. Seit zwei, drei Jahren ist das so. Wer bringt mir am schnellsten bei, wie ich ein Demoband mache? Ohne kommt man ja nirgends mehr rein. Da wirkt der Markt.

Und wie wirkt die Förderung bzw. ihr Gegenteil hierzulande? Was wäre sinnvoll?

Zuallererst wäre notwendig ein vernünftiges Theaterhaus, eine Spiel- und Produktionsstätte von vernünftiger Größe. Wir im Freiraum haben uns bewußt noch den meisten Platz geschaffen. Wir wollten nicht immer bloß in Kellern proben. Aber auch die dreieinhalb Meter Bühnenhöhe, die wir hier haben, sind doch zum La

hierhin bitte das Foto

von dem schwarzhaarigen

Mann, wo er abwehrend

die Hände wegstreckt

chen. Da muß man schon aufpassen, wenn man was in die Luft wirft. Wie soll man da lernen, große Räume zu füllen? Wir brauchen ein Haus, wo alle Bereiche, die zum Theater gehören, zusammenarbeiten können. Und wo Platz ist für einen vernünftigen Gastspielbetrieb. Die Idee vieler kleiner verstreuter Spielstätten bis hin zu Bürgerhäusern, diese ganze Dezentralisierung war Schwachsinn. Um gute Leute zu holen, braucht es Platz für zahlendes Publikum. Dario Fo hätt ich gern mal hier. Es wär für viele Leute aus der Szene ein Aha-Erlebnis. Oder: Es gibt eine Menge spannender Tanz-Compagnies. Die können wir niemals holen. Und sonst für jedes größere Ding müssen wir in den Schlachthof, ins Modernes, in die Schauburg. Anstatt daß es ein Haus gibt, wo ich weiß, wenn ich etwas sehen will, und sei es die eigene Szene, muß ich dorthin. Aber an Bremen wird in den nächsten zwanzig Jahren alles vorbeisegeln. Jetzt wieder: Peter Brook. In Hamburg, in der Kampnagel-Fabrik.

Wißt ihr von geeigneten Räumen?

Das Modernes wär gut gewesen. Oder das alte Fundhaus. Noch besser ist das Gerdes-Gelände samt altem Fabrikhaus am Brommyplatz, hier im Viertel. Da gibt es viele Interessenten. Sportvereine, die da Turnhallen wollen; auch die Gesamtschule Mitte, wo Leute ja ganz intensiv am Schülertheater arbeiten. Und wir. Die Kombination fänd ich gut. Und die Polizei möchte auch noch rein. Stört mich überhaupt nicht.

Hierzulande muß die gewöhnliche Freie Gruppe für jedes Projekt einzeln Förderung beantragen. Für ein paar Dutzend Gruppen gibt es 100.000 Mark. Wär's besser, mit dem bißchen Geld bloß drei Gruppen zu fördern, dafür aber richtig und langfristig, vielleicht für drei Jahre?

Wenn die Behörde solche Gedanken auch nur erwägen würde, hätten wir hier im Freiraum sofort wieder ein Ensemble, eine Art Theaterlabor. Da könnte man auch mal ihn Ruhe experimentieren.

Was haltet ihr von der Idee, von dem Geld einen Technik- und Materialpool einzurichten?

Das versucht man seit zehn Jahren. Die Stadt hat's nie geschafft. Wir machen das untereinander längst selber. Mittlerweile touren hier in Bremen eine Menge Scheinwerfer, Kameras undsoweiter. Was fehlt, ist ein vernünftiger Ort. Als Depot.

Welche bremische Gruppe hat euch denn noch, trotz allem, Theatererlebnisse beschert?

Hm. Lubricat. Die experimentieren und sind professionell.

Haben aber schon ein Standbein in Hamburg, auf Kampnagel. Die Leute wandern überhaupt langsam ab.

Ja. Oder produzieren woanders.

Zieht es andersrum noch welche von außerhalb nach Bremen?

Soweit ich sehen kann: Nein. Es gibt ja, wie gesagt, nicht einmal ein attraktives Theaterhaus. Es gibt eine stagnierte Szene. Was sollte also jemanden reizen, hierherzukommen und Schlafmützen aufzuwecken? Interview: Manfred Dworschak