Tankerkatastrophen über Berlin

■ Experten, SPD- und CDU-Politiker einig, daß Steigerung des Flugverkehrs zur Klimakatastrophe führt/ Politiker halten Wende in Verkehrspolitik für nicht durchsetzbar und wollen Großflughafen

Charlottenburg. Sie wissen es wenigstens. Hans-Joachim Gardain, Abgeordneter der SPD-Fraktion, und Lutz Wicke, Staatssekretär in der Umweltverwaltung, stellten am Wochenende im Audimax der TU nicht in Frage, daß Flughäfen die Umwelt belasten und Flugzeuge sie zerstören. Auch als der Heidelberger Soziologe Wolf Schluchter und Hans Joachim Rieseberg, Regionalplaner an der TU, behaupteten, daß jeder Jumbo-Flug für die Atmosphäre eine Tankerkatastrophe kleineren Ausmaßes bedeuten würde, widersprachen die beiden Politiker nicht. Doch in einem unterschieden sie sich von den Wissenschaftlern während der Podiumsdiskussion, die den Abschluß des »Aktionstages gegen Klimazerstörung und Lärmterror« verschiedener Umweltverbände bildete, dennoch: Sie halten einen neuen Großflughafen südlich von Berlin für notwendig. Eine Verkehrspolitik gegen das Flugzeug sei auf regionaler Ebene erfolglos und nur weltweit sinnvoll — doch die Amerikaner würden bisher nicht mitziehen, erklärte Staatssekretär Wicke.

Rieseberg hielt dagegen einen Großflughafen aus globaler Sicht für nicht mehr zeitgemäß. Sollte sich der Luftverkehr bis zur Jahrhundertwende verdoppeln — in Berlin soll er sich vervierfachen —, würde es weltweite Klimaveränderungen geben. Alternativkraftstoffe, etwa Wasserstoff, könnten Kerosin frühestens in 10 Jahren ersetzen. Aber auch Wasserdampf gehöre nicht in die oberen Luftschichten, weil er zum Treibhauseffekt beitrage. Ähnlich wie beim Bau von Autobahnen fördere ein neuer Flugplatz die Nachfrage nach Mobilität zusätzlich. Regional bedeute das Großprojekt die Zerstörung von Naherholungsgebieten. Erfahrungsgemäß würden sich an der 20 bis 40 Kilometer langen Strecke zwischen Großstadt und Flughafen außerdem Betriebe ansiedeln, und Wohngebiete müßten gebaut werden. »In 20 Jahren haben wir den gleichen Zustand erreicht wie in Tegel«, vermutete der Regionalplaner, »dann müßte man einen neuen Flugplatz bauen — noch weiter draußen.« Mit neuen Flughäfen verlagere man höchstens die Probleme, ohne sie zu lösen. Schon Tegel sei gebaut worden, um Berlins Bevölkerung zu entlasten, doch heute beweise er, durch ihn sei kein einziges Problem gelöst worden. Rieseberg plädierte für eine Verkehrspolitik, die Abschied vom Auto und vom Flugzeug nimmt und die die Schiene (regional, kontinental) und das Schiff (interkontinental) fördert. Anstelle eines neuen Großprojektes solle Schönefeld ausgebaut, Anwohner müßten wegziehen und dafür entschädigt werden.

Gardain bemängelte, daß Rieseberg vor dem Fluglärm resigniere. Die innerstädtischen Flughäfen Tegel, Tempelhof und Schönefeld müßten geschlossen werden, dafür müsse außerhalb Berlins ein neuer Großflughafen gebaut werden. Die Fluggesellschaften sollten schon jetzt gezwungen werden, Flugzeuge nicht halbleer fliegen zu lassen.

Auch Wicke, CDU-Mitglied, plädierte »aus Notwendigkeit« für einen Flughafenneubau. In der Zwischenzeit müsse Berlin Vorreiter bei den Lärmschutzmaßnahmen, laute Flugzeuge müßten »ökonomisch verekelt« werden. Die Hochgeschwindigkeitstrasse der Bahn solle schnell gebaut werden, um wenigstens regional eine Alternative zum Flugzeug anzubieten. Eine Wende in der Verkehrspolitik sei politisch nicht durchsetzbar, erklärte der Staatssekretär. Es sei schon schwer genug, Starts und Landungen von lauten Flugzeugen vor 8 Uhr und nach 18 Uhr zu verbieten. Der Bundesverkehrsminister wolle nicht mitspielen, weil das Verbot gegen internationale Verträge verstoßen würde.

Gadain bezweifelte, daß der neue Flughafen zur Zersiedelung der Landschaft beitragen werde. Rieseberg provozierte darauf mit der Behauptung, daß Gadains vier Kinder in die Nähe des Großflughafens ziehen werden. »So dumm sind die nicht«, widersprach der SPD-Abgeordnete. »Nicht so dumm wie wer?« fragte der Regionalplaner. Dirk Wildt