AL verpaßt sich straffere Strukturen

■ Mitgliederversammlung der Berliner Grünen entmachtet sich selbst und richtet Delegiertenkonferenz ein/ Abschied von der »Politsekte«

Berlin. In einem wahrhaften Abstimmungsmarathon hat der Berliner Landesverband der Grünen (Grüne/AL) in einer zweitägigen Mitgliedervollversammlung eine Neustrukturierung verabschiedet. Die Beschlüsse sehen wesentliche Veränderungen auf allen Ebenen der Parteiorganisation vor, die nach der Wahlniederlage im Dezember von einem Großteil für unausweichlich gehalten wurden. Um die einzelnen Gremien entwickelten sich zum Teil kontroverse und stundenlange Diskussionen, die Beratungen dauerten bei Redaktionsschluß noch an.

Eine Gruppe von »Fundamentalisten« um ihren Wortführer Michael Hammerbacher versuchte durchzusetzen, daß alles weitgehend beim alten bleibe, und drohte kurzzeitig mit dem Parteiaustritt. Am zweiten Tag der Versammlung wurde diese Drohung zurückgenommen. In einer Erklärung heißt es jedoch, man wolle weiterhin das »Standbein Bewegung« der AL stärken. Die jeweils erforderliche Zweidrittelmehrheit der rund 200 Anwesenden — am zweiten Tag nur noch etwa 120 — gab den Satzungsänderungen ihre Stimme. Die Strukturveränderungen werden von einer relativ breiten Mehrheit getragen: Sie beruhen auf Entwürfen einer Mehrzahl der Bezirke und Mitgliedern des Parteivorstandes.

Im einzelnen sehen die Beschlüsse vor, daß die MVV zwar weiterhin höchstes beschlußfassendes Gremium der Partei bleibt. Allerdings wurde ein Quorum eingeführt. Nur wenn mindestens 15 Prozent der etwa 2.800 AL-Mitglieder anwesend sind, können Beschlüsse gefaßt werden. Die bisherige Arbeit der MVV soll zukünftig eine Landesdelegiertenkonferenz wahrnehmen, die viermal im Jahr tagt und sich aus Delegierten aus den Bezirken und Grundorganisationen, wie die ehemaligen Bereiche jetzt heißen, zusammensetzt. MVVs sollen aber weiterhin auf Wunsch der Mitglieder einberufen werden können, wenn zehn Prozent das wünschen. Abgeschafft wurde der bisherige Delegiertenrat. Ihn ersetzt jetzt ein sogenannter Landesausschuß, in dem zum ersten Mal die bisher hochgehaltene Trennung von Amt und Mandat aufgehoben wird. Unklar war bei Redaktionsschluß noch die Zusammensetzung des Parteivorstandes und die Frage, ob Urabstimmungen möglich sein sollen.

Im Gegensatz zu anderen westdeutschen Landesverbänden der Grünen hat sich die AL vor der Neustrukturierung mit einer inhaltlichen Neuorientierung beschäftigt. So wurde eine Resolution verabschiedet, mit der man am nächsten Wochenende nach Neumünster zum Bundesparteitag der Grünen fahren will. Die Erklärung soll einen Kompromiß zwischen den zerstrittenen Flügeln der Grünen herstellen und setzt auf eine Verbindung der Ökologie mit der sozialen Frage. Gerade in Berlin, so Mitantragsteller Willi Brüggen, komme man an der sozialen Problematik nicht vorbei. »Ohne eine innere Neubestimmung werden die Grünen entweder auf das Niveau einer weltanschaulichen Politsekte— gleich welcher Couleur — oder einer kommunalpolitischen Bürgerliste herabsinken«, heißt es in der Erklärung. Rot-Grün in Berlin wurde von Brüggen als »nicht überlebensfähige Frühgeburt« charakterisiert. Dennoch könne die AL nicht ohne Reformperspektive auskommen, und die liege auf der Bündnisebene bei Rot-Grün. Auch in der Resolution wird für die AL die Aufgabe formuliert, ein »mehrheitsfähiges gesellschaftliches Reformbündnis von unten aufzubauen«. kd