Der Nächste bitte

Jenseits Beuys, diesseits Warhol: Zur „Metropolis“-Ausstellung in Berlin  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Ich weiß die Antwort auch nicht, die Antwort auf eine Frage, die im Eröffnungsgetümmel mehrfach aufkam: Warum werden Ausstellungen von dieser Größe zunächst gehaßt, verrissen; später aber, in der kollektiven Erinnerung, stelle sich die Wertschätzung ein?

Die Künstler haben ihre Stunden der Verzweiflung und des Triumphes, das Publikum hat seine. Angenommen, es handele sich bei den Werken von 72 Künstlern um 72 individuelle Sprachen (das Beste, was wir hoffen dürften), wie sollte man ihnen gerecht werden? Mit jedem Schritt ein neues Reich der Sinne, und hinter jedem Kunstwerk lauert ein weiteres Kunstwerk und dessen Geschichte, gar nicht zu sprechen von der Theorie, die die Zeitachse und die Genreschienen zusammenhält.

Zum Glück, so ist es nicht. Selbst die Heroen unter den zeitgenössischen Künstlern sind wie ein in einen zu kleinen Raum eingepferchter Clan; man steht sich auf den Füßen, und der Mangel an Platz (es ist der gesellschaftliche Platz bildender Kunst) nimmt viel von dem Licht, das nötig wäre, individuelle Konturen auszumachen. Es ist die magische Nähe zur Warenwelt, der ironisch-kommentierende Charakter der Werke, der sie ähnlich und damit vergleichbar macht, einerseits. Aber auch die gegensätzliche Position, die rituell-hermetische, schafft brüderliche Bündnisse und konfliktgeladene Allianzen.

Die ironische Position ist mit den üppigen Kitschfiguren Jeff Koons und den geleckten Waren-boards Haim Steinbachs weitgehend ausgemessen. Im Vergleich zu deutschen Künstlern, deren avancierte Position zumeist von Beuysschülern eingenommen wird, waren die New Yorker in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre im Vorteil. Während das alte Europa mit den Malern aus Deutschland und Italien sich zu Anfang des Jahrzehnts noch einmal als unerschütterlich romantisch vorgestellt hatte, war im Reagan-Amerika, in Trump's New York eine triumphale Wiederkehr der Warholschen Warenaffirmation wie programmiert. Kälte, Sperrigkeit, Artifizialität waren die dominierenden Codes, und jegliche Spur einer Künstlerhand galt als ornamentales Verbrechen. Während aber Warhol mit seiner seriellen Drucktechnik selbst nach zwanzig Jahren Praxis noch auf verblüffende Sujets stieß (das Verblüffende war, daß sie in Warhols Ikonographie paßten), trug die neue New Yorker Kunst gewaltsame Züge: „Die allzu spitz sind stechen, und brechen ab zugleich“ (Biermann). In einer Ausstellung, die die Kunst „am Anfang der 90er Jahre“ zeigen soll, wirken die Arbeiten gerade der jüngeren Amerikaner plötzlich antiquiert, wie aus dem wohlverdienten Schlaf im Sammler-Depot unter lauem Vorwand aufgeschreckt. Es ist nunmal das einzige Merkmal des Aha-Erlebnisses, daß es sich am gleichen Gegenstand nicht wiederholt.

Wer weiß, welche dionysischen Feste zu feiern wir bereit wären, wenn wir den Zeugen Jehovas glauben würden, was das baldige Ende der Welt angeht. Und die Kunst der achtziger Jahre hatte etwas von diesem Glauben; Blasphemie als Gottesdienst, kollektives Gelächter als Zukunftsgespräch. Der Fall der Mauer — ausgerechnet Reagan hatte ihn vorausgesagt — hat die Annahme des Westens, am Ende von etwas angelangt zu sein, erschüttert. Es könnte nicht deutlicher sein als am Martin-Gropius-Bau, der nun plötzlich eine Rückseite hat, die auch die Vorderseite sein könnte (Jenny Holzer hat es so gesehen und läßt ihre polemisch „tiefen“ elektronischen Sprüche eben dort aufflackern). Die geladene Gesellschaft betrinkt sich, gerade jenseits des „Todesstreifens“, in einem ehemaligen ostdeutschen Regierungsbau. Etwas Neues hat begonnen, das nicht aus dem Überfluß kommt.

Davon allerdings ist in der Ausstellung „Metropolis“ noch nichts zu spüren. Sie kommt vielleicht um zwei Jahre zu spät oder um eine mir unbekannte Zeit zu früh. Es ist noch immer die Zelebration einer elitären, selbstgewissen westlichen Kunst. Zwar hat man ein paar Ost-Künstler hineingenommen — aus schlechtem Gewissen, aber fast ohne Gewinn (ausgenommen Otis Laubert). Rainer Görß, zum Beispiel, hat sich noch nicht entschieden, ob er Kounellis oder Beuys plagiieren will. Auch die japanischen und südamerikanischen Künstler sind offenbar nur angetreten, um ihre Zeitgenossenschaft durch Konformität kundzutun.

„Viele Künstler“, sagt Katalogautor Jeffrey Deitch, haben „längst die Notwendigkeit erkannt, ihre Ateliers wie Geschäftsunternehmen zu führen — mit Buchhaltern, Empfangspersonal und persönlichen Sekretären, die zu den Assistenten im engeren Sinne, die ihnen im Atelier zur Seite stehen, hinzutreten. Ein gefragter Künstler verbringt heute einen großen Teil seines Tages damit, Leute zu treffen oder Telefonate zu führen, die geplante Ausstellungen, neue Aufträge und die Berichterstattung durch die Medien betreffen.“

Das mag für eine gewisse Gruppe amerikanischer Künstler richtig sein, und auch Anselm Kiefer („Metropolis“ klammert ihn programmatisch aus) unterhält im Odenwald einen mittelständischen Betrieb. Anders ist es deutschen Künstlern gegangen, die vom Boom der Malerei nicht profitierten und sich gegen den Objektfetischismus des amerikanischen Kunstmarkts nur mit Mühe international durchsetzen konnten, wie: Imi Knoebel (Jahrgang 1940), Reinhard Mucha (1950) und Olaf Metzel (1952). Sie haben ihre Themen beharrlich verfolgt, die Produktion übersichtlich gehalten, den Kommentar zeitweise oder gänzlich verweigert. Nach dem Tod von Beuys ist ihnen eine Schlüsselrolle zugewachsen.

Tatsächlich kann eine Arbeit von Imi Knoebel als Substrat der Ausstellung gelesen werden. Es sind drei eher kleine Quadrate aus Billigholz, die nahtlos übereinander an die Wand gebracht worden sind. Die Ziellosigkeit von Malerei, die Niedertracht von Materalien, die Banalität des Produkts als Ende einer destruktiven Suche nach dem Anfang: Hier ist es gesagt, um überhört zu werden. Wie der Mann beim Psychiater: „Herr Doktor, die Leute nehmen mich überhaupt nicht wahr.“ „Der Nächste bitte!“

Christos M. Joachimides und Norman Rosenthal, die „Metropolis“ auf die Beine gebracht haben, kennt man in Berlin seit der spektakulären Ausstellung „Zeitgeist“, die ebenfalls im Martin-Gropius-Bau stattfand. Damals feierte man — gruppiert um eine „Hirschdenkmäler“-Installation von Joseph Beuys im großen Lichthof — die fröhliche, die wilde, die spät-informelle und die metaphysische Malerei. Damit ist Joachimides, weit mehr als Rosenthal, bekannt geworden. Selbstverständlich erwartet man von ihm nun eine Botschaft mit vergleichbarer Wirkung.

Tatsächlich war der starke Impetus von Hoffnung damals wohl eher ein Signal der Malerei und nicht etwa ein Zeichen des großen Herzens oder wachen Blicks von Joachimides. Diese Ausstellung „Metropolis“ trägt nun alle Spuren der Skepsis, die die Objekte von sich aus mitbringen; und der Eklektizismus der Stile schreit „Verzweiflung“ und flüstert „Größenwahn“. Der Lichthof wird dominiert von einem bunten, neun Meter hohen, in einer schleichenden mechanischen Bewegung gefangenen „Ballerina Clown“ des Kaliforniers Jonathan Borofsky. Ein giant Koons, mehr nicht: an der Westküste gedeiht die Maßlosigkeit bekanntermaßen vorzüglich.

Der Umgang des Lichthofs und die angrenzenden Räume, auf zwei Stockwerken, sind weit interessanter. Eine Möglichkeit, die Begehung zu beginnen, ist gegeben im linken Flügel mit Jeff Koons, der sich den Raum mit Peter Halley teilt (ein Koons-Schwein starrt auf ein Halley- Gemälde). Die Gemeinsamkeit ist zwar nicht neu (schon gesehen bei: „Horn of Plenty“, Januar 1989, Amsterdam), aber Halley als Maler ist noch schriller geworden. Er hat sich, mit rechtwinklig ausgreifenden Balken und zentral montierten Rechtecken, eine Bildgrammatik erdacht, die erstaunliche Variationen möglich macht. Es ist eine Malerei, die vom Zweifel über Malerei gar nicht geplagt zu sein scheint — in der Tradition, oder Disziplin, der großen amerikanischen Flächenmalerei (Newman, Rothko), wenn auch ohne deren religiöse Besinnlichkeit. Allerdings ist eine Nachlässigkeit in der Lichtregie bei Halley besonders eklatant: Die Bilder brauchen kaltes Licht aus je einer Quelle; „Metropolis“ läßt sie, wie auch andere Werke, versuppen.

Konzeptuell schlüssig sind die Umgänge des Lichthofs, die fast ganz den Fotograf(inn)en gehören: Thomas Ruff, Jeff Wall, Cindy Sherman, Günther Förg und Fischli/ Weiss; einige von mehr als einem Dutzend von Künstlern, die teils souverän (Ruff, Wall), teils selbstverständlich (Gilbert&George) oder mit dem Charme der Dilettanten (Fischli/Weiss) fotografische Apparate benutzen wie andere die Kettensäge.

„Metropolis“ bedient also nicht stringent, wie vor drei Jahren Harald Szeemanns „Zeitlos“, einen Paradigmenwechsel zur Skulptur. „Metropolis“ ist multi-medial (auch wenn die Videokünstler in den Keller ausgelagert sind) und erweckt damit den Eindruck, es wolle die documenta 9 (nächstes Jahr Kassel) vorwegnehmen. Allerdings — und das ist vielleicht das Beste, was man über diese Ausstellung sagen kann — erweckt sie nicht den Eindruck einer Warenmesse. Der Martin-Gropius- Bau mit seiner (erstklassig) postmodern restaurierten Preußen-Renaissance gibt dem Ganzen jene Stille, aus der die bildende Kunst kommt und in die sie wieder verschwindet (wenn sie bildende Kunst bleibt und nicht zum Rockvideo überläuft).

Zwar will Joachimides einen Zusammenhang erstellen zwischen großen Vorbildern einer Generation, die schon in den sechziger Jahren wirksam war (Georg Baselitz, Gerhard Richter, Richard Artschwager, Bruce Nauman), und jenen jüngeren Künstlern, die die gesellschaftliche Schnittkante der Kunst wiederentdeckt oder —erfunden haben. Aber die Vorbildlichkeit äußert sich vor allem darin, daß die hohen Ordenstiere vorzügliche Räume bekommen, besonders Eckräume, und deshalb in der Masse der anderen annähernd verschwinden. Jedenfalls wird nicht klar, was eigentlich an Einfluß, Stilgeschichte, oder sei es Unnachahmlichkeit, vorgeführt werden soll.

Wenn es um den Einfluß auf die Jüngeren geht, hätten Sigmar Polke oder Frank Stella nicht fehlen dürfen. Wenn es um einen Impuls ginge, hätten die letzten Bilder eines unlängst im französischen Exil gestorbenen Hans Hartung sicher eine tiefere Kerbe hinterlassen als das jüngste Metaphysik-Design eines Gerhard Merz oder die flauen Typographie-Gemälde eines Edward Ruscha.

Man mag (um den Vergleich fortzusetzen) Harald Szeemann vorwerfen, daß er mit seinen erdbraunen Ganzheitlichkeits-Künstlern nicht viel riskiert; aber wie er eine Ausstellung zusammenbaut, spricht für seine Intuition. Dafür muß man die Künstler eben kennen, gut kennen, vielleicht zu gut kennen. Es ist schon eigenartig, daß gerade die Künstlerin, die bei „Metropolis“ mit ihren gipsernen Sarkophagen am ehesten die rituell-hermetische Position besetzt (die erst 28-jährige Rachel Whiteread), zuerst von Szeemann in Deutschland ausgestellt worden ist („Einleuchten“, Hamburg 1990).

Denn das Gegenteil des Konzepts „Künstlerfreundschaft“ ist ein nervöses Gezerre am Kunstmarkt, ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, eine Tätigkeit ohne Hingabe: „Galerien- shopping“, wie es einer der beteiligten Künstler nennt. Natürlich gibt es, wie auch in führenden Galerien, Überraschungen — zum Beispiel die pedantisch arrangierte Videoinstallation von Gary Hill; ein stilles Ensemble, das auf zum Teil winzigen Monitoren (s)einen nackten Körper zeigt, atmend, flüsternd. Oder die Installation des Tschechen Otis Laubert, mit höchst sorgfältig ausgesuchten kleinen Dingen aus Spielzimmer und Hausrat, die auf Augenhöhe in einem Raum hängen, den man betreten darf (der Raum wird dann zum Aquarium, der Besucher zum Fisch).

Und doch bleibt die Frage, was „Metropolis“ hätte sein können, wenn seine Macher mehr von Neugier und weniger von Eitelkeit getrieben gewesen wären. Es gibt allerhand Kunst von schwarzen Amerikanern, die hier niemand kennt; es gibt eine Kunst von amerikanischen Schwulen, die auf seltsame Art Trauer, Sex und Aids-Aktivismus verbindet; es gibt Kunst von australischen Eingeborenen. Sicher, das wäre nicht mehr die Kunst der „Metropolis“, aber diese Ausstellung hat ohnehin keinen urbanen Rhythmus, der Titel ist ein Zugeständnis an die große weite Welt, die englisch spricht. Übrigens ist er gestohlen. Denn „Metropolis“ hieß jenes Herzstück der Ausstellung „Berlin, Berlin“, das vor vier Jahren eben diesem Lichthof gestanden hatte. Der Zeitgeist, gerade neun Jahre alt, hat keinen Namen mehr.

Metropolis. Martin-Gropius-Bau, Berlin. Bis zum 21. Juli 1991, täglich 10 bis 22 Uhr. Katalog: 368 Seiten, 49 Mark

11KULTURMONTAG, 22.4.91

Frida Baranek

Jonathan Borofsky

Pedro Cabrita Reis

Gilbert & George

Jeff Koons

Yasumasa Morimura

Bruce Nauman

Philippe Perrin

Richard Prince

Gerhard Richter

Cindy Sherman

Rosemarie Trockel

Bill Viola Alle Abbildungen a. d. Katalog

Auf Seite 15 war am Samstag ein Fliegendreck, winzig klein zwar, aber tiefschwarz und ausgerechnet das Wort „Ausstrahlte“ entstellend. Ich hatte die Fliege zwar gerade noch gesehen, wollte mit meiner Rechten danach haschen, da hatte sie schon ihr Häufchen von scharf ätzender Beschaffenheit gelassen und flog davon. Dieses Häufchen ist nun reprographiert worden.

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