Putsch von unten

■ Kongo rechnet mit dreißig Jahren Unabhängigkeit ab

Berlin (taz) — Was wollen die Demonstranten in Kamerun, Togo und anderen afrikanischen Staaten, wenn sie immer wieder auf die Straße gehen und eine „Nationale Konferenz“ fordern? Seit zwei Monaten führt das zentralafrikanische Kongo, einst marxistisch-leninistische Volksrepublik, vor, was eine solche Institution bedeutet: die komplette Abrechnung mit dreißig Jahren staatlicher Unabhängigkeit.

Eigentlich hatte sich Staatschef Sassou Nguesso eine eher begrenzte Veranstaltung gewünscht. Zwei Wochen lang, beginnend am 25. Februar, sollten Delegierte der regierenden Kongolesischen Arbeiterpartei (PCT) und der 1990 legalisierten Oppositionsparteien Richtlinien für eine neue Verfassung diskutieren und Gesetze über die Pressefreiheit und die Bürgerrechte ausarbeiten. Die Ergebnisse sollten danach dem Volk zur Wahl gestellt werden. Vor dem Tagungsort, der einstigen PCT-Parteizentrale, waren Panzer und Fallschirmjäger stationiert, die 1.200 Delegierten von 73 Parteien und über hundert Vereinen wurden vor Einlaß bis zu zehn Mal durchsucht, und zu Konferenzbeginn erklärte das Präsidium: „Es ist die Regierung, die diese Konferenz organisiert. Ist das klar?!“

Es war nicht klar. Die Konferenz, an der politische Exilanten und historische Regierungsgegner ebenso wie alte Parteifossilien teilnahmen, erklärte sich kurzerhand zum Souverän des Landes und tagt nun schon zwei Monate. Präsident Nguesso grummelte zwar von einem „Zivilputsch“, reagierte jedoch nicht weiter.

So kann die versammelte politische Klasse des Landes unter Vorsitz des Bischofs Kombo die Regierungspartei zum ersten Mal in 27 Jahren Einparteienherrschaft zur Rechenschaft ziehen. Wer tötete im Militärputsch von 1977, der Nguesso an die Macht brachte, den Präsidenten Marien N'Gouabi vor den Augen seiner Familie? Wie kam es, daß immer wieder Regierungskritiker mysteriös verschwunden sind? Wieso hat Kongo, sechstgrößter Ölproduzent Afrikas, eine der höchsten Pro-Kopf-Veschuldungen der Welt? Und immer wieder: „Mbonge ebima“ — Gebt uns das Geld!

Die Redezeit für jeden beträgt 20 Minuten, zwischen zehn und 18 Uhr wird die Konferenz im Radio übertragen. „Sassou ist ein Mädchenschänder, er fördert Jugendkriminalität und ist senil“, zieht der Vertreter einer Oppositionspartei über den Staatspräsidenten her. „Er betatscht die Frauen seiner Freunde. Er tötet ohne Scham.“

Die Abrechnung mit der Vergangenheit wird wohl noch eine ganze Weile dauern. Vorgesorgt ist bereits: Per Dekret hat die Konferenz allen Amtsträgern, vom Präsidenten bis zum kleinen Bürokraten, das eigenmächtige Verlassen des Landes untersagt. D.J.