Rückbesinnung auf die eigene Kraft der Basis

„Ökumenische Versammlung“ zwischen Resignation und Neubesinnung/ Prominenz fehlte, aber nicht das Engagement  ■ Aus Erfurt Andreas Zumach

„Soll das schon alles gewesen sein?“ stand — in Anlehnung an ein Biermann-Lied aus den 60er Jahren — auf Plakaten in der Erfurter Innenstadt. Die rund 1.000 ChristInnen aus Ost-und Westdeutschland, die am Wochenende die zahlreichen wunderschönen Kirchen der thüringischen Stadt bevölkerten, waren sich in ihrer Antwort einig. „Die Einheit, die wir meinen, ist nicht die Einheit, die wir bekommen haben“, formulierte Dresdens Superintendent Christof Ziemer am Eröffnungsabend dieser ersten „Ökumenischen Versammlung“ nach der Vereinigung von DDR und BRD. Einen Grund für die Unzufriedenheit nannte Erfurts Probst Heino Falcke: Die Einheit müsse „menschengerecht statt marktgerecht“ werden. Falcke machte zugleich deutlich, daß Einheit sich nicht auf Deutschland beschränken kann: „Ob die europäische Einheit gelingt, das zeigt sich an der deutsch-polnischen Grenze.“

Auch die Themen der Foren und Arbeitsgruppen waren zwar durchweg auf Handlungsmöglichkeiten vor Ort ausgerichtet, wiesen aber zumeist über den deutschen Bauchnabel hinaus. „Umweltverträgliche Landwirtschaft in Solidarität mit den Bauern der armen Welt“, „Wehrdienst oder Verweigerung angesichts kriegerischer Einmischung in der 3. Welt“, „Ausländerfeindlichkeit und die bevorstehenden Migrationen in Europa“ oder „Partnerschaft mit der Sowjetunion“.

Das sind allesamt keine neuen Themen für „Ökumenische Versammlungen“, die im Rahmen des sogenannten „Konziliaren Prozesses“ seit nunmehr drei Jahren stattfinden. Mit dem bisherigen Verlauf der deutschen Vereinigung haben sie zusätzliche Brisanz gewonnen, sind neue Aspekte hinzugekommen. Der Golfkrieg hat zunächst einmal die Illusion zerstört, nicht nur christliche Basisgruppen und Gemeinden, sondern die Kirchen mit all ihren Ebenen hätten bei den vorausgegangenen „Ökumenischen Versammlungen“ tatsächlich die Absage an das Mittel des Krieges in verbindlicher Form vollzogen. „Krieg darf nach Gottes Wille nicht sein“ — dieser bereits bei der Gründungsversammlung des Weltkirchenrates 1948 in Amsterdam beschlossene und bei der „Ökumenischen Versammlung“ in Seoul letztes Jahr wiederholte Satz hat den Golfkrieg nicht überlebt. Einige Mitglieder der weltweiten Ökumene — wie etwa die britischen Anglikaner — unterstützten offen den Krieg gegen den Irak. Andere, darunter die deutschen Kirchenleitungen vor allem im Westen, wandten sich zumindest nicht so entschieden gegen den Krieg, wie dies von großen Teilen der Basis erwartet wurde.

Enttäuschung und Resignation hierüber sitzen tief. Die Bereitschaft der Gruppen und Gemeinden schwindet, weiterhin Energie in den „konziliaren Prozeß“ zu stecken. Denn dieser war einst darauf angelegt, durch eine breite Diskussion zwischen allen Ebenen der Kirche zum gemeinsamen Reden und Handeln bei den Themen „Frieden, weltweite Gerechtigkeit und Bewahrung der Umwelt“ zu gelangen. „Der konziliare Prozeß ist kirchenpolitisch tot“ — dieser Satz war in Erfurt oft zu hören. Daß die EKD und die evangelischen Landeskirchen es ebenso wie die katholische Kirche nicht für notwendig befanden, VertreterInnen nach Erfurt zu schicken, diente noch zur Bestärkung dieser Einschätzung. Als einziger erschien Schwerins evangelischer Bischof Stier. Und der katholische Bischof von Erfurt öffnete der Versammlung den Dom für die Schlußveranstaltung und hielt dort eine Ansprache. Dabei waren sämtliche deutsche Bischöfe und Kirchenleitungen eingeladen — allerdings als normale Teilnehmer der Versammlung und nicht, um eine herausgehobene Rolle zu spielen.

Vor diesem Hintergrund stärkten sich die TeilnehmerInnen der Erfurter Versammlung durch eine Rückbesinnung darauf, daß letzlich das Handeln vor Ort und im eigenen Umfeld entscheidend ist. Dies wurde durch das Versammlungskonzept gefördert. Auf prominente Fachleute und RednerInnen wurde zugunsten eines Erfahrungsaustauschs der Gruppen und Gemeinden verzichtet. Herausragend war eine dreistündige, engagierte Diskussion zwischen schwarzen BürgerInnen aus Ost- und Westdeutschland sowie immigrierten sowjetischen Juden. Konkrete Modelle der Arbeit gegen Fremdenhaß wurden ausgetauscht. Und manche von vielen schon als Tatsache akzeptierte Behauptung wurde in Frage gestellt, etwa daß Ausländerfeindlichkeit und gewalttätige Übergriffe in den fünf neuen Bundesländern stärker als in den elf alten seien. „Diese Meinung ist durch nichts belegt und zum Teil Ergebnis der Berichterstattung“, erklärte eine seit Jahren in der Ausländerarbeit aktive Sächsin. Gewalttaten gegen AusländerInnen in der DDR, wie etwa der jüngste Mord an einem Mosambikaner in Dresden, fänden „zu Recht“ eine sehr breite Beachtung in den Medien. Vergleichbare Fälle in der alten BRD schlügen sich oft nur noch in einer Kurzmeldung nieder. Ein Kollege aus Jena meinte gar, das „Vorurteil“, die Ex-DDRler seien ausländerfeindlicher als die Alt-BRDler, sei „eine Projektion der westdeutschen Kleinbürger auf uns, durch die sich besser fühlen können als wir“.