Ein Geschenk für die Neonazis

Bayrischer Bundesgrenzschutz inszenierte in Dresden Linksradikalismus/ Während einer antifaschistischen Demonstration wurde das Szene-Café „La Mitropa“ wegen eines angeblichen „Waffenlagers“ von der Polizei gestürmt  ■ Aus Dresden Detlef Krell

„Was soll denn heute noch passieren? Am Ende geghen wir mit den Bullen einen saufen.“ Gähnend knackt der Junge mit der Bomberjacke und den Schnürstiefeln eine Dose Bier. Etwa 50 Kameraden, milchgesichtige Glatzköpfe, smarte Fascho-Typen und einige blonde Mädels, lungern auf dem Hauptbahnhof herum und schinden Eindruck. Einige Jungen schlendern herüber zu dem Grüppchen Polizisten, das gummiknüppelschlenkernd die Halle observiert. „Auf wen paßt ihr denn hier auf?“ Die Polizisten feixen. „Im Fernsehen werdet ihr immer mit Helm und Schild gezeigt, und uns zeigt man nur, wenn wir knüppeln. Warum zeigt man nie, wenn ihr knüppelt?“ Freundlich sind sie ja, die Polizisten, doch zum Plaudern bleiben sie lieber unter sich.

Es ist bereits nach Mittag, und vom angekündigten Aufmarsch der Neonazis ganz Deutschlands keine Spur. Polizeisprecher Bruchmann teilt den irritierten Journalisten mit, daß nichts geschehen sei, nur etwa 50 augenscheinlich Rechte würden auf der Elbe in die Sächsische Schweiz fahren. Man rechne aber mit Störungen auf der Antifa-Demo. 15 Uhr am Goldenen Reiter sollen die DresdnerInnen gegen Überfälle auf Linke und Ausländer, gegen Neofaschismus in ihrer Stadt demonstrieren.

BGS und Polizei stehen schon Stunden im Schneeregen, als die ersten Journalisten kommen und ihre Kameras montieren. Der Einsatzleiter der bayerischen Bundesgrenzschützer erklärt den Organisatoren der Demonstration noch einmal das Abkommen: keine Vermummung, keine Helme, keine Waffen oder ähnliches im Demo-Zug. Langsam füllt sich der Platz. Es kommen fast nur Jugendliche. Palästinensertücher, Sticker „Gegen Nazis“, Transparente. Hemmungslos entsichern die Fotografen ihre Kameras. Herr Sonntag tritt auf, mit Hund. Er ist der örtliche Chef des „Nationalen Widerstands Deutschlands“ und Kühnen-Vertrauter — Shakehand mit der Polizei, Abtritt. Im Hintergrund wuseln einige Glatzen herum und verdrücken sich wieder. Dann dringt ein Sprechchor heran. Unter einer rot- schwarzen Fahne nähert sich von der Neustadt her ein Demonstrationszug. „Lieber raus auf die Straße als Heim ins Reich“ wollen die Leute, die unter der alltäglichen, rechtsradikalen Gewalt in dieser Stadt neben den AusländerInnen am meisten zu leiden haben. René, 20 Jahre alt, erläutert sein Verständnis für diese Antifa-Demo: „Wir sind gegen die Ausländerfeindlichkeit und verschärfte Gewalt. Mit den Rechten sollte man friedlich reden und einander zuhören. Doch daran ist wohl vorläufig nicht zu denken. Für die ist es schon eine Provokation, wenn wir so eine Sache wie heute veranstalten.“

Der Mord an dem jungen Mosambikaner Jorge Gomondai, die bisher ungesühnten Überfälle zu Silvester auf die Neustädter Cafés „Bronxx“ und „Die 100“, Angriffe auf offener Straße und die Sprachlosigkeit der Politiker, das stille Dulden von „Zuständen wie 1933“ zählen die jungen DemonstrantInnen immer wieder als Gründe auf, an diesem 20.April auf die Straße zu gehen. Seinen Namen will niemand nennen. „Ich geb' doch den Faschos nicht meine Visitenkarte.“ Den Fotografenpulk, der sich an den bunten Autonomen weidet, finden sie „zum Kotzen“. So ähnlich scheinen aber auch viele Autofahrer über diese Aktion zu denken, sie müssen im Stau und im eigenen Mief warten, bis die „Störung“ durch etwa 300 „Chaoten“, wie ein adretter Herr zu wettern weiß, endlich vorüber ist. Über die Elbbrücke in die Altstadt auf die Ernst-Thälmann-Straße zieht der Marsch, von Neonazis keine Spur. Taucht doch einmal irgendwo einer in Bomberjacke auf, wird er sofort niedergebrüllt: „Nazis raus!“ Zugereiste DemonstrantInnen versuchen immer mal wieder, die internationale Solidarität gegen das Kapital hochleben zu lassen. Aber von derartigen Texten haben die DresdnerInnen eben auf der Thälmann-Straße schon zuviel gehört. Noch beim Treff am Goldenen Reiter hatte sich René von der Antifa-Jugend an die Freunde aus Berlin, Hamburg und anderen Städten gewandt: Wir sind in Dresden, und hier läuft jede Demo anders als in irgendeiner anderen Stadt.

Mit der Demonstration und der BGS-Eskorte laufen Mitglieder der „Gruppe Vorbeugung“ aus der Alternativen Fraktion des Stadtparlaments und dem Neuen Forum. Sie tragen Schärpen „Keine Gewalt“ und bitten, sich an dieses Gebot zu halten, auch als bekannt wird, daß die Polizei am Fürstenzug eine Gruppe Rechtsradikaler eingekesselt hat. Daß zugleich ein Einsatz in der äußeren Neustadt läuft, ahnt in der Freude über den verhinderten Fascho-Aufzug niemand.

Im „La Mitropa“, einem der Neustädter Szene-Cafés, hatten die zugereisten Antifas die Nacht vor der Demo verbracht. Die Gerüchte über den gesamtdeutschen Sternmarsch der Neonazis in die „Hauptstadt der Bewegung“ und die Erfahrungen der Neustädter mit Fascho-Überfällen und hinterdrein blickenden Polizisten ließen es dringend geraten sein, sich dort nicht wie in einem Hotel zu betten. Überfälle blieben aus, und vor der Demonstration trafen die Neustädter mit dem zuständigen Polizeirevier Nord ein Abkommen: Alle Waffen, und was noch für Gewalt geeignet scheint, bleiben im „La Mitropa“. Friedlich sei diese Aktion, wie gehabt. Doch nach dem zweistündigen Weg durch die Stadt fanden die Betreiber und Gäste des „La Mitropa“ die Böhmische Straße gesperrt. Polizei mit Schild und Stock, auch für die Presse weder Zugang noch Erklärung. Kurz darauf sperrt die Polizei weitere Zufahrtsstraßen, der bayerische BGS rollt heran. Polizisten reden sich mit „Ihrer persönlichen Sicherheit“ heraus und „eventuellem Gebrauch von Schußwaffen“, kein Einsatzleiter hält irgendeine Erklärung für nötig. Presse, die AG Vorbeugung, Abgeordnete werden an den Polizeisprecher der Bezirksbehörde verwiesen, der weiß aber auch nichts. Nach einer weiteren Stunde erst taucht er vor Ort auf und gibt seine Erklärung ab: Auf Grund des Verdachts auf eine vorangegangene Straftat habe die Polizei drei Jugendliche verfolgt und sei so auf das Haus in der Böhmischen Straße gestoßen. Dort habe man ein Lager mit Schreckschußpistolen, Molotowcocktails und ein Funkgerät gefunden. Das Haus sei wie zur Verteidigung hergerichtet gewesen. Die Polizei habe 24 Personen festgenommen. Während dieser Rede schleppt der BGS Schilder heran, als gelte es, eine gegnerische Kaserne zu stürmen.

Ein Kreuzberger und ein Potsdamer Jugendlicher geben der taz ihre Erklärung des Überfalls: „Gerüchte über einen Angriff der Faschos, wie ihn ,La Mitropa‘ wohl schon mehrfach erleben mußte, haben uns zu gewissen Vorsichtsmaßnahmen bewogen. Die Polizei hatte den Betreibern des Cafés klargemacht, daß sie die Sicherheit nicht garantieren kann. Vor der Demo sollten wir unsere Schreckschußpistolen und das Reizgas hier liegenlassen. Was jetzt läuft, ist eindeutig eine Intrige gegen die Linke.“ Hagen Arnold, Stadtverordneter der Alternativen Fraktion, ist ebenfalls empört: „Seit Tagen ist die AG Vorbeugung aktiv. Wir wollten verhindern, daß hier etwas von außen aufgesetzt wird. Der BGS zieht wieder ab, wir haben dann mit der täglichen Eskalation der Gewalt zu tun.“ Als ein „nettes Geschenk an die Neonazis“ kommentieren viele Neustädter die Szenerie. „Die können sich einen Überfall sparen, brauchen sich nur noch hinzustellen und die Hände zu reiben. Der BGS macht das für sie.“

Der Staatsanwalt soll im Haus sein, aber es findet sich niemand, der das betätigen könnte. 20.15 Uhr, der BGS ist wieder abgereist und die Straße offen, wird „La Mitropa“ noch immer von der Polizei bewacht. Sind die Betreiber oder Gäste des Cafés noch im Haus? „Selbstverständlich, mit dem Staatsanwalt“, bestätigt ein Polizist. „Es ist niemand drin, wir bewachen dieses Haus und suchen Beweismittel.“ Einsatzleiter Oberrat Ruder hat keine Probleme mit der Logik seines Auftritts. Welchem Verdacht gehen sie denn nach? „Wir gehen keinem Verdacht nach, wir bewachen dieses Haus.“ Liegen bereits Beweismittel vor? „Es geht hier nicht um Beweismittel.“ Sie kommen mal eben vorbei und bewachen dieses Haus? „Wenden Sie sich an den Polizeisprecher!“

So steht die Dresdner Polizei, mehr oder weniger verschämt, in der Kälte und redet sich auf den Polizeisprecher heraus, wenn nach den Folgen des bayerischen Imports einer Bekämpfung von Extremismus gefragt wird. „Können Sie mir sagen“, wird einer der Bewacher gefragt, „was Sie am Führergeburtstag in diesem Aufzug hier wollen? Sie verwechseln etwas. Haben die Einwohner dieses Stadtteils den Jorge Gomondai erschlagen?“ Neonazi Kühnen durfte mit seiner Gefolgschaft durch Dresden demonstrieren, AusländerInnen trauen sich nicht mehr auf die Straße, die „Bronxx“ wurde abgefackelt, und auf den Mauern der Neubaugebiete wird unverhohlen zu Mord und Rassismus gehetzt. Offenbar versetzt dieser latente Neofaschismus die regierenden Politiker zunehmend in Erklärungsnotstand. Denn für das bei jeder Gelegenheit heraufbeschworene Phantom eines linken Extremismus ließ sich bisher in Dresden kein Beispiel zitieren. Dieses Beispiel mußte nun geschaffen werden.