Kurdenführer in der Höhle des Löwen

■ Während am Wochenende eine kurdische Delegation mit dem Regime in Bagdad über zentrale Anliegen verhandelte, begannen US-Soldaten mit dem Aufbau von Flüchtlingslagern auf irakischem Territorium.

Kurdenführer in der Höhle des Löwen Während am Wochenende eine kurdische Delegation mit dem Regime in Bagdad über zentrale Anliegen verhandelte, begannen US-Soldaten mit dem Aufbau von Flüchtlingslagern auf irakischem Territorium.

Waffenstillstand, Rückkehr der Flüchtlinge, Verwirklichung des Autonomie-Abkommens und Garantien von dritter Seite — das sind die zentralen Anliegen einer vierköpfigen kurdischen Delegation, die seit Donnerstag letzter Woche auf Einladung Saddam Husseins in Bagdad Gespräche mit Vertretern der irakischen Regierung führt. Nach ersten Kontakten Ende März hatte die Kurdistan-Front, eine Dachorganisation verschiedener kurdischer Organisationen im Irak, einen entsprechenden Beschluß gefaßt. Kurdischen Angaben zufolge hat Saddam Hussein seine Bereitschaft erklärt, über „alles außer über eine Sezession“ zu sprechen. Über Inhalt und Verlauf der Gespräche wurde zunächst nichts näheres bekannt.

Geleitet wird die Delegation von Jalal Talabani, dem Vorsitzenden der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Mit von der Partie sind auch Nechirvan Barzani von der Demokratischen Partei (KDP), Sami Abdelrahman von der Demokratischen Volkspartei sowie Rasul Mamand von der Sozialistischen Partei Kurdistans. Damit handelt es sich bei den Gesprächen in Bagdad um eine gemeinsame kurdische Initiative. An den Verhandlungen beteiligt sind die vier größten Kurdengruppen, auch wenn die KDP und die PUK bei weitem die einflußreichsten sind.

Hintergrund des Gesprächsangebots aus Bagdad dürfte sein, daß die irakische Führung auf diesem Wege eine weitere internationale Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes umgehen möchte. Darüber hinaus würde ein Abkommen mit den Kurden die Position Saddam Husseins im Innern stärken.

Für die Führer der kurdischen Organisationen stehen jedoch andere Überlegungen im Mittelpunkt. Wie der Sprecher der KDP in der Bundesrepublik, Hoshyar Zebari, am Samstag in einem Interview sagte, habe man das Angebot Bagdads auch deshalb angenommen, weil es keine Hinweise darauf gebe, daß die Politik der USA auf den Sturz Saddam Husseins abziele. „Uns wurde nicht mitgeteilt, was das letztendliche Ziel der US-Politik ist, ob es eine Entscheidung gibt, Saddam durch ein gemäßigteres Regime zu ersetzen“, sagte Zebari gegenüber der 'Washington Post‘ „Aber immerhin ist dies eine Gelegenheit. Saddam ist unter Druck, er ist in einer schwachen Position. Wir wollen diese Chance nicht verpassen.“

Unmittelbarstes Ziel der kurdischen Verhandlungsführer ist zunächst einmal eine Feuerpause oder ein Waffenstillstand. Wegen leidvoller Erfahrungen in der Vergangenheit insistieren sie jedoch auf entsprechende Garantien von dritter Seite, sei es von der UNO, sei es seitens Frankreichs oder der EG. Daher wurden auch im Vorfeld der Gespräche verschiedene Staaten, so die Mitglieder des Weltsicherheitsrates, kontaktiert. Die Frage, ob sie Abmachungen zwischen Saddam Hussein und den Kurden garantieren würden, hätten einige bejaht, hieß es.

Dahinter verbirgt sich jedoch auch das Problem von Verhandlungen mit einem Regime, das weltweit isoliert ist. Da den Kurden das erste Mal in der Geschichte ihres Kampfes viel Sympathie entgegengebracht wird, möchte man dies nun nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. In kurdischen Kreisen heißt es daher auch, daß es möglicherweise besser gewesen wäre, die Gespräche mit Vertretern der irakischen Führung in Kurdistan oder zumindest an neutralem Ort, beispielsweise in Genf, stattfinden zu lassen. Ob Saddam Hussein dem zugestimmt hätte, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Der lange Kampf um eine Autonomie

Bemerkenswert, aber nicht überraschend ist, daß die kurdische Delegation von dem Vorsitzenden der PUK, Jalal Talabani, angeführt wird. In der Vergangenheit hat es wiederholt Kontakte zwischen der PUK und dem Regime gegeben, zum Teil auch Versuche Bagdads, die kurdischen Parteien gegeneinander auszuspielen. So gab es während des ersten Golfkrieges in den Jahren 1983/84 Verhandlungen Talabanis mit der irakischen Führung über eine Neuauflage des Autonomie-Abkommens vom März 1970. Unterdessen kämpfte die KDP unter Masud Barzani — sie war ein Bündnis mit dem Iran eingegangen — in ihrem Stammland im nördlichen Teil Kurdistans weiter gegen die Truppen des Regimes. Doch wie so oft verliefen auch diese Verhandlungen letztendlich im Sande.

Neben dem aktuell drängendsten Problem einer Feuerpause und der Rückkehr der Flüchtlinge steht für die Kurden politisch die Rückkehr zum Autonomie-Abkommen im Mittelpunkt. Realisiert wurde auch das nie; zentrale Konfliktpunkte waren damals eine geplante, aber nie durchgeführte Volkszählung und, damit verbunden, die Grenzen des autonomen Kurdistan sowie die Frage der Finanzen für die autonome Regierung. Vier Jahre später war der Krieg in Kurdistan wieder voll im Gange. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen liegt es nahe, wenn die Kurden jetzt, gestärkt durch die internationale Sympathiewelle, auf entsprechenden Garantien Außenstehender insistieren. Beate Seel