Marianne im Kreuzfeuer der Kritik

Zwischen brandenburgischer Bildungsministerin Birthler und GEW vereinbarter „Sozialpakt“ ruft LehrerInnen auf den Plan/ Offener Protestbrief aus dem Kreis Oranienburg mit 1.000 Unterschriften  ■ Von Ulrike Helwerth

Berlin. Die Schulpolitik der brandenburgischen Bildungsministerin Marianne Birthler (B 90) steht unter keinem glücklichen Stern. Während die Opposition im Landtag Front gegen die von der Ministerin favorisierte Gesamtschule macht, stoßen sich LehrerInnen im ganzen Land, Koalitionspartnerin FDP aber auch Leute aus dem Spektrum von Bündnis 90/Grüne heftig an dem „Sozialpakt“, der jüngst zwischen der Ministerin und den LehrerInnenorganisationen des Landes geschlossen wurde (siehe taz vom 12.4.). Demnach sollen alle PädagogInnen ab kommendem Schuljahr für unbefristete Zeit 20 Prozent weniger unterrichten — allerdings auch 20 Prozent weniger verdienen. Damit soll verhindert werden, daß 6.500 KollegInnen „bedarfsbedingt“ gekündigt werden. Denn mittelfristig werden die Schulen im Land mit 28.000 LehrerInnenstellen auskommen müssen: Steigende Arbeitslosenzahlen sind absehbar, denn für viele der „überzähligen“ 6.500 PädagogInnen bedeutet eine Kündigung das berufliche Ende. Umverteilung der Arbeit auf alle heißt daher das Gegenmittel, das im Hause Birthler für die vorprogrammierte Misere ersonnen wurde. GEW und Standesorganisationen stimmten ihm zu.

Nicht so die betroffenen LehrerInnen: Ein Protestbrief mit knapp tausend Unterschriften wurde gestern Marianne Birthler übergeben, firmiert von mehr als der Hälfte der PädagogInnen des Kreises Oranienburg. Die UnterzeichnerInnen stimmen zwar grundsätzlich mit der Ministerin überein, „daß unnötige Kündigungen und soziale Härten nach Möglichkeit vermieden werden sollten“, aber sie halten ganz und gar nichts von der Weise, wie ihnen Solidarität abverlangt wird. Erfahren haben sie nämlich von diesem „Sozialpakt“ vor zehn Tagen durch die Presse. Einige Tage später erhielten die LehrerInnen des Landes Brandenburg einen Arbeitsvertrag über die neue Teilzeitregelung, den sie bis zum 6.Mai unterschrieben abgeben sollen. In einem Begleitbrief warb die oberste Dienstherrin um „Verständnis für diese Maßnahme“, und hoffte auf Zustimmung, „wenn wir in gemeinsamer Verantwortlichkeit einen Weg suchen, individuelle Verzweiflung und soziale Not zu verhindern“. Längst nicht so freundlich klang jedoch der Satz: „Sollten Sie das Vertragsangebot nicht annehmen, sähe ich mich gezwungen, den bestehenden Arbeitsvertrag zu kündigen.“ So nicht, empörten sich die KollegInnen im Kreis Oranienburg. Zuerst müsse klar sein, ob das bisherige Dienstalter bei der Eingruppierung, der Alterversorgung und beim Kündigungsschutz angerechnet wird, oder ob die KollegInnen mit dem neuen Arbeitsvertrag bei Dienstjahr Null anfangen. Außerdem müßten exakte Zahlen über den tatsächlichen LehrerInnenbedarf öffentlich vorliegen, neben genauen Gehaltstabellen, gültig ab 1.Juli 1991. Die UnterzeichnerInnen des offenen Briefes verlangen ferner Auskunft darüber, was „auf unbestimmte Zeit“ heiße und ob im Falle einer 80prozentigen Beschäftigung die Arbeitslosenversicherungsbeiträge gekürzt oder erlassen würden oder in gleicher Höhe bestehenblieben. Erst wenn alle offenen Fragen bis zum 29.April beantwortet seien, könne man auf das Anliegen der Ministerin reagieren. „Wir schlagen Ihnen vor, uns Arbeitsverträge zuzustellen, die einfachen rechtsstaatlichen Ansprüchen genügen“, heißt es in dem Schreiben. „Den Einsatz von Rechtsmitteln behalten wir uns vor.“