Leipziger Buchmesse: „Sein oder Nichtsein“

■ Der Konkurrenzkampf mit der Frankfurter Buchmesse ist für Leipzig aussichtlos/ Nach der diesjährigen Ausstellung wird sich entscheiden, ob sich ein zweiter Standort „rechnet“/ Ideen, die Leipziger Messe umzugestalten, gibt es genügend

Leipzig. Die Leipziger Buchmesse 1991, zum erstenmal aus der traditionellen Frühjahrs-Wirtschaftsmesse ausgeklammert, ist zum Erfolg verurteilt. Vom 24. bis zum 29.April wird über „Sein oder Nichtsein“ dieser ältesten deutschen Buchmesse entschieden, deren Anfänge bis in das Jahr 1470 zurückreichen. Im wirtschaftlich sowieso aussichtslosen Konkurrenzkampf mit der riesigen internationalen Frankfurter Buchmesse droht der rund achtmal kleineren Schwester in Leipzig der Untergang, wenn sich dort unter marktwirtschaftlichen Bedingungen für die Verlage und Buchhändler ein zweiter Messestandort im vereinten Deutschland „nicht rechnet“. Für die um ihre Existenz ringenden ostdeutschen Verlage ist das eine schwierige Ausgangslage.

Absichtserklärungen zum Erhalt des traditionsreichen Verlagsortes Leipzig und seiner Buchmesse gab es im Vorfeld reichlich. Entscheiden werden die Gremien des seit Anfang 1991 wiedervereinten Börsenvereins des deutschen Buchhandels gemeinsam mit der Leipziger Messeleitung erst nach der diesjährigen Messe.

Eine Entscheidung allerdings, die bereits die künftige Richtung erkennen läßt, ist bereits gefallen: Die Leipziger Buchmesse hat das „international“ aus ihrem Namen gestrichen. „Leipzig will sich künftig in die ganz normalen europäischen Buchmessen einreihen mit dem Schwerpunkt auf dem deutschsprachigen Raum“, erläutert Gudrun Schaufuß, Pressesprecherin der Messe GmbH. Nicht ohne Stolz verweist die Messeleitung auch auf das diesjährige große Interesse. Über 1.100 Verlage aus 18 Ländern werden auf 8.700 Quadratmetern Ausstellungsfläche ihr vielfältiges Angebot präsentieren — dreimal so viele wie 1990.

Die Szene beherrschen die westdeutschen Verlage, deren Interesse an Leipzig nach dem Wegfall der reglementierenden Zensurbeschränkungen zu DDR-Zeiten enorm gestiegen ist, was sich schon im Vorjahr nach Öffnung der Grenzen zeigte. Von den 502 Hauptausstellern stammen 343 aus Westdeutschland (1990: 65), 89 ostdeutsche Verlage beteiligen sich (1990: 69). Die meisten der ausländischen Aussteller kommen aus den deutschsprachigen Nachbarländern Österreich und Schweiz. Vertreten sind auch die osteuropäischen Staaten; 14 Verlage aus der Sowjetunion stellen ihr Angebot vor.

Die Meinungen in der Branche schwanken derzeit zwischen vorsichtigem Optimismus über die Zukunft des Buchmarktes Leipzig bis zu nüchtern-abwartender Haltung oder purem Pessimismus. In der gemeinsam von der Messeleitung und dem Börsenverein eingesetzten Kommission „Buchstadt Leipzig“ werden Möglichkeiten für eine lebensfähige Eigenständigkeit diskutiert. Daß der große „Jahrmarkt der Eitelkeiten“ in Frankfurt längst aus allen Nähten platzt, hat die Überlegungen begünstigt, ein zweites Messestandbein im Frühjahr am Traditionsort Leipzig zu eröffnen.

So meint die Messe-Pressesprecherin für die Leipziger Buchschau Zukunftschancen als Ordermesse für den Buchhandel zu erkennen. „Die Frankfurter Buchmesse im Oktober liegt für das Weihnachtsgeschäft der Buchhändler viel zu spät. Die Händler ordern dafür jetzt im Frühjahr“, hofft sie.

Anders wäre die Leipziger Buchmesse auch kaum überlebensfähig, denn das internationale Lizenzgeschäft, ein wesentlicher Faktor bei den heutigen Buchmessen, spielt sich fast nur in Frankfurt ab. Das sehen auch die Leipziger so, wie Ramona Lange, Leiterin des Projektteams Buchmesse, versichert. Andere Überlegungen gehen dahin, die Leipziger Messe mehr als breite Publikums- und Buchhändlermesse zu organisieren. „In Frankfurt prallen die Interessen des Publikums und der Verlage mit Lizenzvergabe aufeinander, wobei die Besucher und die Buchhändler immer mehr in den Hintergrund gedrängt werden“, meint sie. Als dritte Möglichkeit wird eine Art Buch-Frühjahrsfestival erwogen, bei dem auch der Aspekt der in Leipzig seit alters her gepflegten Buchkunst mehr herausgestellt werden soll.

„Absolut zwiespältig“ stellt sich die Zukunftsfrage des Messestandortes Leipzig für die ostdeutschen Verlage und örtlichen Buchhändler dar, betont der Landesverband der Verlage und Buchhandlungen für Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Einerseits wollten diese Unternehmen ihre „tradtitionelle Buchmesse“ fortführen, „andererseits müssen alle eiskalt unter den marktwirtschaftlichen Bedingungen kalkulieren: Rechnet sich für uns eine zweite Messe? Denn an Frankfurt kommt keiner vorbei.“

Eines wird es auf der Leipziger Buchmesse nie wieder geben: Die Zensurpraktiken des untergegangenen sozialistischen SED-Staates, auf dessen Anweisung die DDR-Zöllner an den Grenzen unliebsame Bücher mit vermeintlich „regimefeindlichem Charakter“ zurückwiesen. So gehört auch ein Mann der Vergangenheit an, der früher im Mittelpunkt des Medieninteresses der Messe stand: Klaus Höpcke, als langjähriger stellvertretender Kulturminister und Leiter der „Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel“ auch „Buchminister der DDR“ und „Oberzensor“ genannt.

Heute gibt sich der thüringische PDS-Abgeordnete als „Erfinder“ der Abschaffung der „Druckgenehmigungspraxis“ in der ehemaligen DDR aus.

Im März 1990 entschuldigte sich der letzte SED/PDS-Kulturminister Dietmar Keller auf der Leipziger Buchmesse bei allen Autoren und Künstlern des Landes und sprach von einer „historischen Schuld“. Die Leipziger Buchmesse müsse aber erhalten bleiben, weil sie zur kulturellen Identität gehöre, die in ein geeintes Deutschland eingebracht werden könne. Kirsten Baukhage/Wilfried Mommert (dpa)