Verzückungsarbeiter

■ Die Pet Shop Boys in der Deutschlandhalle

Die BVG setzte vom U-Bahnhof Kaiserdamm Shuttle-Busse zur Deutschlandhalle ein, in Erwartung massenweise junger Menschen. Und dann kamen mittelalte Männerpaare, mit frisch ausgebleichter 501-Hose, Dreitagebart und Lederbolero angetan, kleckerten grüppchenweise in den Bus hinein, verschämt wie unerwartete Gäste. Das löste sich später im Lichterglanz der Halle, als sie zusammen scherzten, lachten und sich über die kratzigen Wangen strichen, zum Beat der größten Schwulen-, Disco- und Showtruppe, der Pet Shop Boys. Die hätten sich auf der Bühne dann sowieso alles erlauben, lediglich Videomonitore präsentieren oder eine bayerisch blasende Hofbräukapelle aufmarschieren lassen können. Doch wurde von den Augen mehr als bloße Einbildungsbereitschaft verlangt.

Mit vielen Drums und Drans hatten sich die Pet Shop Boys eine Musicalshow ihrer größten Erfolge im Stile der populären Filme aus den 40er Jahren inszenieren lassen. Lichtermeere, Farbenfreude, Hollywoods Glanz und Gloria, choreographische Perfektion hätte man indes auch im Friedrichstadtpalast finden können. Bei aller Liebe zum eigenen Glamour waren sie jedoch klug genug gewesen, die frühen Flittershows nicht bloß lernwillig nachzustellen, sondern in jedem Schritt eine winzig kleine Verschiebung, eine parodistische Verfremdung, eine Inversion miteinzubauen.

Die Tänzer und Tänzerinnen bewegten sich opulent und athletisch, um trotzdem im nächsten Moment in kindliches Gehopse und devote Deux-à-deux-Neckereien umzuschwenken. Zwischen Fernsehballett und situationistischem Tanztheater blieb die Truppe in der Schwebe und hielt damit die Show zusammen. Prächtig verwirrten sie den Blick auf die Stars im Vordergrund, die sie immer wieder in die mit Tanzschritten ausgemessene Bühnentiefe hineinzogen, weg von der Rampe in eine kollektive Anonymität.

Hätte Derek Jarman Dick Tracy verfilmen dürfen, René Magritte die Bühnenbilder dazu erstellt und Michel Foucault das Drehbuch entworfen, es wäre ästhetisch urknallend, im Jenseits kritischer Distanz ausufernd bestaunt worden. Doch im Hier und Jetzt der Bühne waren es eben die Pet Shop Boys, Helden des Pop und verwundbar. Ein Großteil der Interessengemeinde unten im Saal verhielt sich bedeckt, mancher verzog sich kopfschüttelnd schon nach wenigen Minuten ob der allumfassenden Durchgeknalltheit: gelb und rosa bemalte Akteure auf Surfbrettern, Texasfummel, Engelsgewänder, Elvis-Imitationen und Komsomolz-Modells, ein bißchen viel des Guten.

In der Halle hinterster Mitte mauschelte ein Radio-4U-Redakteur in etwa etwas von absoluter Nullaussage und sinnleerem Bildertaumel, als »hätte Edward mit den Scherenhänden versucht, in einem Wasserbett zu schlafen«. Hier störte der Kitsch, männerpaarend wurde er am anderen Ende empfangen und genossen. Aus Grüppchen schrillten Laute der Verzückung empor: »Neil, Neil« (Tennant, der Sänger) oder ein stöhnend-sanftes »Ohh, Chris« (Lowe, der andere Pet Shop Boy). Ab und an flogen Stoffteddys mit rotem Halstuch auf die Bühne, weniger anzüglich waren kleine Rosensträuße für die Lieben. Am Schluß entschied die Musik für ein umfassendes Happy- End.

Nach über zwei Stunden endete die Show als Konzert, unter Ovationen, allein wegen der wunderbaren Songs, die sich, zukünftige Evergreens, in einer Beinah-Las-Vegas- Show vorwegnehmend als Memento der 80er Jahre ununterbrochen ausgebreitet und das Herzblut in die Ohren getrieben hatten. Ein wenig war die Enttäuschung zu spüren, denn die Pet Shop Boys hatten zwischen sinnenschweren surrealistischen Visionen und verschunkelt grauen Alltagsbildern die sanfte Ironie und Melancholie und Weisheit ihrer Texte und Statements verloren, als hätte die Show sich nie in ein Verhältnis zur Attitüde gesetzt, zum eigenen Verhalten, das als Behaviour auf der aktuellen LP im Vordergrund steht. Andererseits: Paul McCartney legt auf Tournee keine Schweigeminute für John Lennon ein, Frank Sinatra kann sich eine satellitenweit ausgestrahlte Tele-Buße wegen seiner Mafia-Verbindungen ebenfalls verkneifen. Und Bob Geldof lauert nicht mit der Spendenbüchse am Breitscheidplatz. Die Kunst ist nicht das richtige Leben. Harald Fricke