»Lebenshygiene« mit NRJ

■ Max Guattari, der Direktor des französischen Radio-100-Bewerbers »Novelle Radio Jeunesse« erläuterte sein Radioverständnis

Am Freitag dieser Woche ist Abgabeschluß für die Bewerbung um die neu ausgeschriebene alte Radio-100-Frequenz 103,4 Megahertz. Die Entscheidung über den neuen Eigentümer der Frequenz wird der Berliner Kabelrat am 6. Mai fällen. Zu den Anwärtern auf die Sendelizenz gehört unter anderem »Radio 2000«, eine Bewerbergruppe, die sich um den französischen Medienkonzern NRJ (Nouvelle Radio Jeunesse) gesammelt hat. In den bisherigen Verlautbarungen von Radio 2000 wurde betont, daß im anvisierten Programm »auch Minderheiten umfassend zu Wort kommen« werden. Klappern gehört auch hier notwendigerweise zum Handwerk, denn die Lizenz für Frequenz 103,4 Megahertz war bisher an bestimmte Bedingungen gebunden wie zum Beispiel eben an die Ausstrahlung sogenannter Minderheitenprogramme.

Ein genaueres Bild von Radio 2000 bzw. dessen Herzstück bietet ein Interview, das Radio France International im deutschsprachigen Programm (in Berlin auf Mittelwelle zu empfangen) mit dem Generaldirektor von NRJ, Max Guazzini, geführt hat.

1981 nahm NRJ den Sendebetrieb als ein Radio unter vielen auf. Drei Jahre später überschritt NRJ die vorgeschriebene Sendestärke um das Achtzigfache und störte den Empfang der Nachbarfrequenzen erheblich. Max Guazzini erzählt, was er von der Einhaltung gesetzlicher Auflagen hält: »Ab einem bestimmten Zeitpunkt brauchte NRJ als ein Radio, das viel Musik sendet, einen besseren Hörkomfort. Es stimmt, daß wir von Anfang an das Gesetz nicht respektiert haben, das die Sendestärke auf 500 Watt beschränkte. Und jetzt, wo alles in Ordnung gekommen ist, nach mehreren Jahren des Kampfes, senden wir mit 500 Kilowatt. Wissen Sie, am Anfang sind die zuständigen Institutionen immer überängstlich und sehr vorsichtig. Jedenfalls haben eine Reihe von Mißverständnissen Ende 1984 zu einem Spannungsverhältnis mit der damals zuständigen Überwachungsinstitution geführt. Es kam also '84 nach einer Periode der Spannungen und Reibungen zur Kraftprobe mit der Haute Autorité. Man verlangte von uns, die Sendestärke zu reduzieren.«

Die Kraftprobe gewann NRJ. Die Haute Autorité, das Pariser Pendant des Berliner Kabelrates, unterlag. Ein Ergebnis, das die Philosophie des Generaldirektors bestätigt, für den »die Geschichte der UKW-Frequenzen eine Geschichte der Eroberung der Macht« ist. Zu dieser Radiophilosophie gehört auch »eine bestimmte Lebenshygiene« (Guazzini), die sich im ausgestrahlten Programm niederschlägt. Die »Lebenshygiene« beschreibt der NRJ-Chef so: »NRJ ist ein Musiksender, der sich von der Auswahl her an die 15- bis 20jährigen wendet. Es gibt auch Nachrichten, aber das sind Flashs, die maximal vier Minuten dauern und von denen wir sechs am Tag senden — in den Morgenstunden, mittags und am Nachmittag. Wir senden die Musik, die die Jugendlichen mögen, wir machen Umfragen und so weiter, und wir sind Schirmherren aller großen Konzerte Frankreichs: U2, Whitney Houston, Madonna etc.«

Neben den Nachrichtenblitzen und der Werbung existiert gesprochenes Wort im NRJ-Radio nur als Musik- und Stationsansage. Der Rest ist Musik, eine Musik, die Radio 2000 als »neue urbane Musikfarbe« angekündigt hat und die die französische Tageszeitung 'Libération‘ als »eine Art sonores Aerobic« beschreibt.

Bevor NRJ seine Fühler in Richtung Berliner Äther ausstreckte, hatte man schon 155 lokale Radiostationen in Frankreich aufgekauft und auf NRJ-Format gebracht. Guazzini über die erfolgreiche Radiopolitik von NRJ: »Wir haben verschiedene Arten von Stationen. Es gibt Filialen, das sind die Stationen, die uns zu 100 Prozent gehören — uns gehören die Frequenz, das Kapital etc. Diese befinden sich vor allem in den großen Städten Frankreichs. In den weniger wichtigen Städten haben wir mit den Stationen Franchising-Verträge, das heißt, die Inhaber einer Frequenz haben die Möglichkeit, das Programm von NRJ gegen eine bestimmte Anzahl von Verpflichtungen zu übernehmen, denn das Programm wird gleichzeitig über Satellit auf das ganze Netz übertragen. Deshalb haben wir unser Sendenetz betoniert. So riskieren wir kein Hin und Her, denn ein Netz, das seine einzelnen Stationen in den wichtigen Städten nicht besitzt, wäre ja in der Hand der Leute, die die Franchising-Verträge haben. Die könnten hin- und herschwanken, von einem Tag auf den anderen das Programm ändern. Wir hingegen haben unser Netz betoniert, und wir sind die einzigen, die ihr Netz so betoniert haben. Das ist eine Frage der Sicherheit. Ein Unternehmen, das zu einem Teil an der Börse investiert, kann sich nicht erlauben, auf wackligen Füßen zu stehen.«

Zwei weitere NRJ-Standbeine im französischen Äther sind die Netze »Chérie FM« (ein Oldie-Sender) und »Rire et Chanson« (ein Programm mit Sketchen und lustigen Liedern). Darüber hinaus bestreitet NRJ auch ein selbstproduziertes Programm im staatlichen Fernsehen, »Antenne 2«. Im europäischen Fernsehrahmen bemüht man sich um den Kauf der Mehrheitsbeteiligung des britischen Medienkonzerns Maxwell bei »MTV-Europe«. In Berlin will NRJ, wie gesagt, die Frequenz 103,4 MHz übernehmen. Zu der Bewerbergruppe Radio 2000 um NRJ gehört auch »ein Berliner Stadtmagazin«, verriet Max Gauzzini gegenüber Radio France International. 'Prinz‘ und 'Zitty‘ dementieren, 'Tip‘ will über laufende Verhandlungen keine Auskunft geben. Margit Kroll