Von tanzloser Schönheit

■ Neue Spielweisen des freien Theaters in Frankfurt

Die Produktionsstätten des freien Theaters, etwa das Hebbeltheater in Berlin oder die Kampnagelfabrik in Hamburg, das Theater am Turm und der Mousonturm in Frankfurt, fungieren zugleich als renommierte Gastspielorte internationaler Theatergruppen. Summertime-Festivals und Gastspiele eines Peter Brook oder Jan Fabre sorgen für ausverkaufte Häuser. Das „Festival-Theater“ rentiert sich; als Produktionsstätten des „freien“ Theaters sind diese Spielorte jedoch fast abhanden gekommen.

In Frankfurt wurde deshalb im Theater am Turm und im Mousonturm der Akzent etwas verschoben: fort vom reinen Gastspielwesen, hin zum Produktionsmanagement. Dem Gastspielbetrieb wird die eigene Produktion zum Export entgegengehalten. Der neue Akzent heißt: freies Theater im europäischen Kontext und auf europäischem Niveau. Wo es das vermag, gewähren die Frankfurter Häuser professionelle Arbeitsbedingungen, vom Tonstudio bis zu sechsmonatigen, bezahlten Probezeiten. Für die übrigen freien Theater hat sich Frankfurt mittlerweile ein „Freies Theaterhaus“ geleistet, für Kinder- und Jugendtheater sowie für Amateurgruppen ohne weiteren innovativen Anspruch.

Die unterschiedlichen Konzepte der beiden Frankfurter Theater sind erfolgreich: Das Theater am Turm fördert junge Regisseure außerhalb des Stadttheaters. Der Mousonturm gründete eine international besetzte Tanzkompagnie, die mit freien Choreographen und Tänzern aus ganz Europa arbeitet.

Oliver Hardts Inszenierung auf der Probebühne des Theaters am Turm war der erste einer Serie neuer Regieimpulse aus der Nachwuchsriege. Salomé von Oscar Wilde, dekonstruktivistisch gelesen: Der Text trägt nicht mehr die Handlung, sondern wird — durchaus im Sinne Wildes — akustisches Material, ein Klangfeld. Salomé, die Circe, begehrt Johannes. Herodes begehrt Salomé. Fast durchweg sahen wir Mannequins des Begehrens in Hardts Inszenierung.

Salomé muß nicht tanzen, die Siebenschleirige, um den Kopf des Täufers zu fordern. Das Publikum bleibt ergriffen von ihrer tanzlosen Schönheit. Statt Tanz schlägt Salomé nachdrücklich mit Eisenschlegeln auf Eisenplatten. Das erweicht Herodes, der die Memme spielt. Herodes wimmert. Herodes bettelt: „Ein halbes Königreich“, bloß nicht den Kopf des Gottverdächtigen. Das Tonband fährt ihm übers Maul: „Den Kopf“, retourniert es, „den Kopf“.

Salomé (Karolina Sauer) als Androide, als Puppe, sitzt breitbeinig, stumm, schweigend vor einer Zisterne aus Plexiglas und starrt den lächelnden Johannes an (Mohsen Hosseini). Auch er ist puppenhafter Übermensch, sein Lächeln Hohn. Die Haltung ohne Tadel. Ein Johannes aristokratischer Bibelschule. Salomé streckt die Beine um sein Gehäuse, die Hände reglos an den Behälter gelehnt, die Augen starr. Zweite Szene. Salomé wie eben. Nun breitbeinig um ein kleineres Gefäß aus Plexiglas voll krabbeliger Heuschrecken: die Speise des Täufers, die Praline der Salomé (sie verschlingt eine Heuschrecke).

Das wirkt minimalistisch bei Oliver Hardt. Hauchweise erotisch (hauchweise!). Ein Chor deklamiert zu Beginn. Mittendrin klingelt das Telefon. Herodes stimmt orientalische Liebeslyrik an. Die wird gestört durch grobes Zischen aus der Verstärkeranlage. Eine orientalische Lyrik der Vergleiche: „Deine Haare sind wie / Zisch!“

Daß nicht psychologisiert wird, sondern alle wie Puppen spielen; daß nicht getanzt wird, sondern getrommelt; daß die Handlung der Salomé als musikalische Form gelesen wird, ist Merkzeichen von Oliver Hardts neuartiger Sichtweise.

Auch im Bereich des Tanztheaters geht es weiter — in Richtung Popdrama. Gemeinsam mit dem in New York ausgebildeten portugiesischen Choreographen Rui Horta hat der Mousonturm eine Gruppe von Tänzern aus ganz Europa gewonnen. Die einzige deutsche Tänzerin fand sich in Paris. Anders als beim Theater am Turm mit seinen wechselnden Regiegästen setzt man hier — „in freier Vertragsform“ mit der Gründung dieses internationalen Ensembles auf Kontinuität.

Der Mousonturm wird zum Monsumturm: Die Choreographie von Rui Horta endet im Regen. Eine von Ironie durchsetzte Choreographie euphorischen Maschinentanzes gipfelt in jenem ekstatischen Regentanz: Wasser schießt vom Bühnenhimmel, die Musik hämmert, die Choreographie verliert nichts von ihrer klaren Kontur. Arnd Wesemann

Oliver Hardt: Salomé . Weitere Aufführungen in der Probebühne des Theaters am Turm, 25.-27.April

Rui Horta: Soap Dance . Am 12. Mai in Nürnberg, Tafelhalle, danach Europatournee, voraussichtlich Mitte Juni auch im Theaterhaus Stuttgart.