Poep, kak, fuk, Apartheid

Der südafrikanische Kabarettist Pieter-Dirk Uys im Gespräch über Evita Bezuidenhout  ■ Von Claire Robinson

Claire Robinson: Der Witz spielt in repressiven Gesellschaften eine große Rolle. Sie haben einmal gesagt, Ihr Land produziere die verrücktesten Worte, und Sie würden sie stehlen. Können Sie mir einen Witz erzählen?

Pieter-Dirk Uys: Nostradamus prophezeit, wenn die ganze Welt zerstört ist, dann wird der Bure herrschen... Ich nenne meine Arbeit die „Comedy of prejudice“ (Komödie des Vorurteils). Ich weiß, daß das Publikum über seine eigenen Vorurteile lachen wird, über seinen eigenen Haß. Vorurteile, auf die Bühne gebracht, zeigen deren ganze Absurdität. Denn Apartheid ist absurd...

Das hat mich bei Ihrer Show in Kapstadt so beeindruckt, wie die „normalen“ SüdafrikanerInnen sich amüsierten.

Ich habe meine Meinung, das weiß das Publikum ganz genau, aber ich stoße es nicht mit der Nase rein. Das ist wichtig, weil die Leute hier so leidenschaftlich und bis aufs Messer für oder gegen eine Sache sind. Ich muß von einer Seite zur anderen springen, von Winnie Mandela zu Eugene Terre Blanche [Vorsitzender der AWB], von Andries Treurnicht [Vorsitzender der Konservativen Partei] zum PAC [Pan Africanist Congress, links vom ANC], von Maggie Thatcher zu Evita. Politiker sind Patheten, und ich bin nun mal kein Politiker. Ich gebe dem Publikum etwas, das nicht nur eine Lektion sein kann, ein Fingerzeig, wie schrecklich wir sind. Die Leute sollen rausgehen mit dem Gefühl der Hoffnung.

Aber die weißen Südafrikaner, besonders die Buren, verkörpern doch das Gegenteil von Optimismus.

Ja, und auch viele Schwarze sind pessimistisch. Es herrscht ein tiefes Verlustgefühl vor. Verlorene Träume, genau das hat Apartheid ja erreicht: die Träume zu töten. Sobald man einem Kind sagt, du kannst nicht der König auf deinem Schloß werden, weil du schwarz bist, dann verkrüppelst du die Gesellschaft. Wir sind durch all diese Jahre weißer Vorherrschaft gegangen. Jetzt harren die Leute eines Hoffnungsgefühls. Seltsamerweise kommen die ins Theater, zu jemandem, der nicht existiert, in einem „Homeland“ lebt, das nicht existiert. Und doch ist alles existent. Gestern nacht fragte mich jemand aus dem Publikum, ob Evita Bezuidenhout denn nicht die erste Allparteienkonferenz organisieren wolle. Und jemand anders sagte: „Ja, genau, so muß es geschehen. Wenn Evita den PAC, ANC und Inkatha an einen Tisch kriegt, dann muß sie es tun.“

Im Zentrum Ihrer Show steht Evita Bezuidenhout, südafrikanische Botschafterin im fiktiven „Homeland“ Bapetikosweti. Wer ist sie, für was steht sie?

Evita ist der Ausbund des modernen Nationalisten. Sie ist so liberal, daß sie links um die Ecke geht und rechts wieder herauskommt. Das macht sie auch gerade für das schwarze Publikum so amüsant. In ihr spiegelt sich die ganze Scheinheiligkeit der Regierung, die plötzlich liberaler redet als die klassische Liberale Südafrikas, Helen Suzman. Die Nationalpartei vertritt nun die Ideen der Liberalen. Bookie Bam, Evitas Sekretärin, verkörpert eher den alten Typ von Bure, der immer noch an Apartheid glaubt und nun die Konservative Partei wählt. Sie sagt: „Jahrzehntelang waren die Kommunisten unsere Todfeinde, und jetzt soll ich sie füttern und ,Oom‘ (Onkel) zu ihnen sagen?“

Ist Evita denn nicht die perfekte Anwendung der „Reform“-Maximen des früheren Präsidenten P.W.Botha: „Anpassen oder sterben“?

Ja, Evita war anfänglich die prototypische Vertreterin jener Buren-Politiker. Sie hat die Dimension relativer Intelligenz, die alle ihrer Sorte haben, deswegen waren sie ja so gefährlich. Sie ist gierig, furchtbar arrogant und von dem ungebrochenen Glauben beseelt, daß sie im Recht ist. Auch mein eigenes Vorurteil war, daß die Leute an der Macht Idioten waren. Aber nein, sie waren fürchterlich clever und schafften es, alles auf ihr Niveau herunterzuziehen. Jean Cocteau sagt zur Stupidität: „Sie ist immer überraschend, egal, wie sehr man sich an sie gewöhnt.“

Evita ist als Clown-Figur gewachsen. Sie war wirklich nicht als „bekannteste weiße Frau Südafrikas“ geplant, so nennt sie sich jetzt. Weil die Presse und das Publikum es so wollten, über die Jahre. Jetzt ruft die Presse an und fragt beispielsweise an Neujahr nach einem Kommentar von Evita für 1991. Meine Meinung interessiert die gar nicht!

Wie also ist das Verhältnis zwischen der Figur und der Realität?

Also, ich plane ihre Zukunft nicht über den Tag hinaus. Letztlich mache ich jeden Tag eine neue Show, und dadurch, daß das Publikum an die Politikerin Evita Fragen stellten kann, wird sie immer anders. Letzte Nacht etwa hatte ich vierzig Fragen. Sehr stark hat die Leute die Affäre zwischen dem De-Klerk-Sohn und dessen nach Apartheid-Logik als „Farbige“ eingestufter Freundin beschäftigt. Das ist eine kleine Sensation. Vor ein paar Jahren wären beide noch ins Gefängnis gewandert. Evita nannte die Frau eine „boereland beauty with rhythm“ (Schönheit vom Lande mit Rhythmus) und vermied also jegliche Anspielung auf die Hautfarbe. Nennen wir es Anpassung.

Sie sagen, viele weiße Südafrikaner hätten das Gefühl, sie könnten nur zwischen zwei Übeln wählen. Ist das nicht schizophren?

Ja, absolut. In meiner Show tritt eine „Kogel“ [Schimpfwort in Afrikaans für eine jüdische Mittelschichtsfrau] auf und sagt: „Zwei Dinge kann ich an Südafrika einfach nicht ausstehen: Apartheid und die Schwarzen.“

Was ist Ihre größte Angst?

Ich bin 45 Jahre alt, und meine besten Freunde in diesem Land können immer noch nicht tun, was sie wollen, obwohl sie 45 Jahre alt sind wie ich, aber eben eine andere Hautfarbe haben. Die gesamte Struktur des Landes ist negativ. Aber meine größte Angst ist die Angst. Eines Morgens aufzuwachen und darüber nachzudenken, daß dir gestern jemand zuraunte: „Hast du keine Angst, daß sie dich irgendwann umbringen?“ In dem Moment, wo du anfängst, darüber nachzudenken, daß die Gewalt im Land auch dich erwischen könnte, kommst du nicht mehr aus dem Bett.

Das größte Gefühl hier neben der Angst vor Rache ist doch sicherlich das der Schuld.

Das hat noch nicht mal richtig begonnen. Doch die Schuld wird immer bei uns bleiben. Deutschland muß damit schon seit 45 Jahren leben. Ich sehe sowieso viele Parallelen zwischen beiden. Wenn jetzt die beiden Deutschlands Milliarden brauchen, um zusammenzukommen, wieviel braucht dann erst Südafrika? Wir sind seit mehr als 45 Jahren geteilt, was den Lebensstandard angeht, die Bildung, alles. In Deutschland wird das eher als ökonomisches Problem angesehen, weil man ja die gleiche Sprache und Hautfarbe hat. Hier ist alles zehnmal schwieriger.

Im Moment wird viel vom „neuen Südafrika“ geredet. Es ist, als ob man Geschichte mit Worten ändern wollte. Und die Vergangenheit wegwischen wollte. Evita sagt zum Beispiel in ihrer Neujahrsadresse: „Vergeßt die Vergangenheit. Sorry wegen Apartheid, wir versprechen, das nie wieder zu tun.“ Apartheid wird zur kleinen Panne der Geschichte.

Wir dürfen nicht vergessen. Wir können nicht vergessen. Kein weißer Südafrikaner kann sich doch, wie die Deutschen das mal gemacht haben, eines Tages umdrehen und sagen, er habe nichts von den KZs gewußt. Jeder weiß Bescheid.

Ein Kernstück der Apartheid- Ideologie ist Calvinismus, Prüderie, die Ablehnung alles Fremden. In Kapstadt lachten die Leute am heftigsten, wenn Sie über Sexualität sprachen.

Wir sind so unterdrückt, daß, wenn man „peop“, „kak“, „fuk“ [„furzen“, „Scheiße“, „ficken“ auf afrikaans] sagt, die Leute fast durchdrehen. Ich sage in einem Atemzug „poep“, „kak“, „fuk“, „Apartheid“. Calvinismus ist auch mein Gefängnis. Man braucht nur in den Spiegel zu sehen.

Was hat sich für Sie seit dem Reformkurs de Klerks verändert?

Ich bin ja schon seit zwanzig Jahren im Geschäft. Doch erst seit sechs Monaten läuft alles so, wie ich es mir neunzehneinhalb Jahre erhofft hatte. Nie hatte ich vorher ein solches Echo auf meine Stücke, außer einem negativen. Wenn ich nicht jedes Jahr einmal nach Europa gefahren wäre und mich am Feedback dort gestärkt hätte, ich hätte sicherlich aufgegeben.

Die politischen Koordinaten haben sich seither doch nachhaltig verschoben.

Ich dachte schon manchmal, vielleicht habe ich dann nichts mehr zu tun. Aber jetzt habe ich ja mehr Material als jemals zuvor — das ganze Spektrum von links nach rechts, und ich muß nicht das blöde Gefühl haben, Sprachrohr für eine Person oder Gruppe zu sein, die sich nicht selbst artikulieren kann. In den „alten Tagen“ war einiges einfacher, zugegeben. Aus dem einfachen „Schwarz- Weiß“, „Freund-Feind“ wird jetzt vielmehr „Grau“. Aber letztlich müssen die Leute denken, fragen lernen und Entscheidungen treffen, nicht ich.

Und wie stehen Sie zu einem Machtwechsel?

Ich jedenfalls habe keine Angst davor. Ich setze auf eine Koalitionsregierung aus den Besten, die wir haben, und das müssen nicht unbedingt bekannte Politiker sein. In unserem Land gibt es viele wunderbare Menschen, Lehrer, Ärzte, die hart arbeiten. Die politischen Parteien behindern im Moment Fortschritte. Der ANC ist schlecht organisiert, und die Regierungspartei versucht, daraus Kapital zu schlagen. Also immer noch: teilen und herrschen, teilen und herrschen. Nichts tut sich. Wir müssen aber langsam etwas tun. Wenn wir eines Tages eine nicht-rassistische Regierung haben, und es ist für die Zukunft des Landes wichtig, die Industrie zu nationalisieren, dann müssen wir das eben tun. Die Buren haben doch sowieso alles verstaatlicht, das Leben eingeschlossen...

...und haben immer noch nicht kapiert, wie sehr sie den verhaßten kommunistischen Staaten Osteuropas ähnelten.

Absolut. Jeder faselt jetzt vom „demokratischen Südafrika“, und keiner weiß, was das eigentlich ist. Der Kulturboybott hat doch auch verhindert, daß wir beispielsweise britische Programme sehen konnten, um uns eine Meinung zu bilden. Ich war und bin total gegen diesen Boykott. Ich kann nicht verstehen, daß Leute, die Antworten haben, uns diese vorenthalten. Statt dessen haben wir nur das mieseste TV aus den USA bekommen, das irreparable Schäden verursachte.

Sie werden im Frühsommer unter anderem in Wien, Prag und Berlin spielen. Und zwar in Deutsch, das Sie sprechen, da Sie eine deutsche Mutter haben, die vor den Nazis nach Südafrika floh. Glauben Sie, daß man Ihr Programm hier versteht?

Mein Aufgabe ist es nicht, etwas verständlich zu machen, sondern Parallelen aufzuzeigen. Ich bin schließlich kein deutscher Kabarettist. Aber je näher ich komme, desto mehr werden die Leute sich in meinem Spiegel reflektieren. Ich bringe meine Figuren zu ihnen.

Pieter-Dirk Uys: Südafrika in Farbe . 26.-28.4.: Berlin, Haus der Kulturen der Welt; 1.5.: Recklinghausen; 3.5.: Bielefeld; 4.5.: Minden; 5.5.: Dortmund; 30.5.: Essen