DEBATTE
: Krieg ohne Frieden

■ Nur eine Nahost-Konferenz kann für einen Modus vivendi sorgen

„Im Krieg und in der Lotterie, wer gewinnt, das weiß man nie“, sagt ein altes Sprichwort. Nicht so die Bellizisten. Sie, allesamt tüchtige Schreiber, wußten und wissen es genau: Ein Krieg gegen den Irak war die einzige Lösung. Wieso aber eigentlich? Schließlich wäre da auch noch der Versuch eines umfassenden — freilich zeitraubenden — Embargos gegen den irakischen Aggressor gewesen. Ist doch der Irak — im Gegensatz zu anderen Ländern, deren mörderischer Politik man zumeist mit nur halbherzigen Embargo-Maßnahmen beikommen wollte — praktisch zu 100 Prozent vom Öl abhängig. In der Tat, augenscheinlich gibt es Gelegenheiten, die gewissermaßen zu groß sind, um genutzt zu werden. Und so wurde eben Krieg geführt, um einen Krieg zu verhindern. Eine durchaus effektive Methode. Denn wer einzeln auf die Straße tritt, kann kaum zerstreut werden.

Dramatische Kriegsfolgen wie das unbeschreibliche Elend der Kurden im Norden und der Schiiten im Süden Mesopotamiens nähren den ketzerischen Gedanken, daß eine internationale Isolierung und ein rigoroses Embargo gegen den Bagdader Schlächter Saddam Hussein möglicherweise vernünftiger gewesen wären. Doch von Anfang an schauten die Bellizisten auf jeden, der nur das Wort Embargo in den Mund nahm, wie auf ein Kind, das sich erkundigt, warum es im Sommer nicht schneit.

Die Operation „Wüstensturm“ hatte nicht nur Demokratie für Kuwait und Wahrung des Völkerrechts im Sinne. Im Golfkrieg ging und geht es um mehr als hehre Prinzipien und allzeit verfügbares Öl. Es geht um nicht weniger als eine Lektion in Sachen der von Präsident Bush apostrophierten „neuen Weltordnung“. Um eine Ordnung eben, die stark genug ist, Regionen der Dritten Welt auch mit militärischer Gewalt zu kontrollieren. Dieses ehrgeizige Ordnungs- Unternehmen macht Saddam Hussein aber keineswegs zum späten antikolonialen Helden. Saddam Hussein ist, was er immer war: ein wahrer Wolf im Wolfspelz, der nie zögerte, seinen mörderischen Drohungen auch ebensolche Taten folgen zu lassen. Selbstverständlich wird man einem Hausbesitzer, der drauf und dran ist, seine Kinder totzuschlagen, in den mordlustigen Arm fallen. Aber wird man deshalb sofort einen ganzen Straßenzug per Ekrasit zehn Meter über Normalnull heben?

Für die traditionellen Opfer wird sich Bushs „neue Weltordnung“ schwerlich als Gewinn herausstellen, Kurden und Schiiten sind heute Hauptopfer eines Krieges, der auch in ihrem Namen geführt wurde. Schuld an ihrem Leid ist dabei weder der angeblich „zu kurze“ Waffengang noch die zugegebenermaßen teils erschreckend dümmliche Friedensbewegung. Jeder Krieg ist ursächlich für Flüchtlingsströme. Und vergangene Erfahrungen zeigen, daß nach den Kampfhandlungen — egal bis zu welchem Punkt sie geführt wurden oder wie sie letztlich ausgingen — das Flüchtlingselend häufig weit größer war als das durch die direkten Kriegsfolgen verursachte. Ob im Sudan oder in Äthiopien, in Sri Lanka oder eben im Irak. Nur weil er dies zu bedenken gab und einem Embargo durchaus Chancen eingeräumt hatte, ist nicht gleich jeder Kriegsgegner ein teeschlürfender Schwachkopf in Birkenstockschuhen oder ein über Franz Alt meditierender Halleluja-Schlumpf mit Mutter Theresa als Pin-up-Girl überm Bett.

Kritik verdient indes jeder plumpe Antiamerikanismus, der den Täter Saddam Hussein direkt oder indirekt zum Opfer hochstilisiert. Ebenso jeder Kriegsgegner, dem das Existenzrecht Israels kein Wort wert war. Genauso fatal aber ist eine pauschale „Anti-Amerikanismus-Kritik“, die offenbar entweder unter einer derartigen Phantasielosigkeit leidet, oder aber an solch maßloser Naivität krankt, daß sie das Gerede von Bushs „neuer Weltordnung“ nicht in konkrete Taten umzusetzen vermag. Erlaubt muß schließlich auch die Frage nach den erreichten Kriegszielen sein.

Tatsache ist, daß der jüngste Golfkrieg die irakische Besetzung Kuwaits beendet und die unmittelbare Bedrohung Israels durch Saddam Hussein gebannt hat. Ebenso ist es Tatsache, daß er über hunderttausend direkte Opfer gefordert sowie das Drama der Kurden und Schiiten ausgelöst hat, daß er das befreite Kuwait als ökologisches Katastrophengebiet hinterläßt und daß Saddam Hussein immer noch regiert.

Saddam Hussein machte aus seinen Absichten nie ein Geheimnis. Auch vor dem 2. August nicht, dem Tag des Überfalls auf Kuwait. Damals freilich galt er als politischer Freund und solventer Handelspartner von West und Ost. Und so macnche, die später besonders weit — freilich nicht zum Nulltarif — ihr Maul für den Krieg und gegen ein umfassendes Embargo aufrissen, haben dem rationalen Technokraten als Bollwerk gegen die „fanatischen Teheraner Mullahs“ seinen Überfall auf den Iran und seine damaligen Kurden-Schlächtereien großzügigst verziehen. Giftgas, Brandrodung und Zwangsumsiedlungen begleiteten das Ende des ersten Golfkrieges. Napalm, Hunger- und Erfrierungstod das Ende des zweiten. Ob unter Monarchen oder Militärs, die kurdische Minderheit hatte stets zu leiden. Saddam Hussein allerdings ist der konsequenteste und effizienteste Kurden-Schlächter.

Bei jedem neuen Konflikt im Nahen Osten steht das Lebensrecht Israels auf dem Spiel. Daß dieses Existenzrecht zu verteidigen ist, steht außer Frage. Doch ist der Staat Israel durch die Operation „Wüstensturm“ wirklich sicherer geworden? Der arabische Haß auf den „Zionistenstaat“ hat seine Wurzeln in Palästina, und er umfaßt tatsächlich weite Teile der arabischen Welt. Sogar wenn Saddam Hussein getötet oder der Irak vollständig ausradiert worden wäre, der Gewinn wäre allenfalls kurzfristiger Natur. Es gibt reichlich Despoten in der Region, die nur darauf warten, Saddams Erbe anzutreten. Der „siegreiche“ Ausgang des Krieges am Golf wird daher in Israel als ziemlich ungedeckter Wechsel auf eine schwer kalkulierbare Zukunft gesehen.

Die Kriegsbefürworter, die nur in der militärischen Eskalation eine Lösung sahen und sehen, sind nicht unbedingt platte Epigonen von Ernst Jünger. Einen Vater freilich können die Bellizisten und „Saddam=Hitler-Apologeten“ nicht verleugnen: André Glucksmann. Anfang der 80er setzte der die Sowjetunion mit Nazideutschland gleich und leitete daraus die Legitimation für eine Angriffskrieg gegen Moskau ab. Wenn nötig, mit Atomwaffen. Ein großer Krieg sollte offenbar zum großen, vermutlich „ewigen Frieden“ führen.

Doch jenseits aller Spiele mit Paradoxien kann nur eine umfassende Nahost-Konferenz, die Zug um Zug alle Krisen der Region — von Kurdistan über den Libanon bis hin zu Palästina — zu lösen sucht und für militärische Deeskalation sorgt, einen dauerhaften Modus vivendi ermöglichen. Die heute gegnerischen Parteien müßten sich dann ja nicht unbedingt lieben. Aber sie könnten vielleicht nebeneinander leben — ohne immerfort nach der Kehle des anderen zu schielen. Walter Saller

Der Autor arbeitet in der Maghreb- und Nahost- Agentur Nedschma, Berlin.