: OSIR — das Ölkatastrophen-Blatt
Ein amerikanischer Newsletter beschäftigt sich ausschließlich mit Tankerunglücken/ In einer der nächsten Ausgaben soll die Katastrophe an der ligurischen Küste behandelt werden ■ Von Manfred Kriener
Sie erinnert ein wenig an italienische Sportzeitungen, obgleich deren Geschwätzigkeit unerreicht bleibt. Sie pflegt einen launig-unterhaltsamen Nachrichtenstil. Sie liebt Zahlen und Statistiken über alles. Sie denkt immer nur an das eine und macht aus Scheiße Schokolade, will sagen: aus Katastrophen Geld. Sie nennt sich 'Oil Spill Intelligence Report‘ (OSIR) und ist die erste und einzige Zeitung dieses Planeten, die sich ausschließlich mit Ölkatastrophen beschäftigt. Die Themen — siehe Ligurien, Supertanker Haven — gehen ihr niemals aus. Und wenn gerade kein geplatzter Tanker die Küsten mit seiner todbringenden Soße verkleistert, dann wird die Bilanz früherer Havarien gezogen, wird von Aufräumarbeiten in Alaska berichtet, von Prozessen, modernen Katastrophenbekämpfungstechniken und neuen Tankerflotten.
Im Jahr 1978, als die Amoco-Cadiz die Küste der französischen Bretagne in eine schwarze Sumpflandschaft verwandelte, wurde das wöchentlich mit acht Seiten erscheinende Blatt gegründet. Seitdem wird jede Tonne ausgelaufenes Öl sorgsam gezählt, wird verglichen und hochgerechnet, werden die Trends abgeschätzt. Zu Jahresbeginn wird Bilanz gezogen: „Werden die 90er ein gutes Jahrzehnt?“ fragte das Blatt beim Jahresabschluß 1990 als die Ölkatastrophe des Golfkriegs noch nicht absehbar war. 1989, so erfahren wir von OSIR, war ein schreckliches Jahr, das schlimmste seit 1983. 1983 wird aber noch von 1979 übertroffen, als bei Tankerunglücken nicht weniger als 130 Millionen Gallonen Öl ausliefen. 40 große Tankerunglücke (für die Statistik vorgeschriebene Mindestverlustmenge: 10.000 Gallonen Öl) registrierte OSIR im Jahr 1989, 32 im Vorjahr. Die ausgelaufene Exxon-Valdez- Katastrophe im Prince William Sund könnte sich heilsam ausgewirkt haben, räsonnierte das Blatt noch in der dritten Januarnummer. Woher dieser Optimismus kommt, bleibt angesichts der immer größeren Zahl von Tankern auf den Weltmeeren das Geheimnis der Redaktion. Aber wenn man sich schon und ausschließlich mit Katastrophen beschäftigt, will man dabei auch das Gute nicht ganz vergessen. So wird denn die Tonnage der in diesem Jahr im ölverseuchten Prince William Sund gefangenen Heringe und Lachse genau notiert, um zu zeigen, daß die Einbußen der Fischer weit geringer als befürchtet waren und die Katastrophe am Ende vielleicht doch nicht so schlimm. Auch über die Anstrengungen des Exxon-Konzerns zur Milderung der Kastastrophe wird eher beifällig berichtet.
Die hoffnungsfrohe Voraussage über die möglicherweise guten 90er Jahre war kaum gedruckt, als die ersten verheerenden Hochrechnungen des Golfkrieges kamen. 460 Millionen Gallonen Öl, fast viermal soviel wie die weltweite Ölverlustmenge des bisher schwärzesten Jahres 1979, sollen nach den ersten Hochrechnungen in den Persischen Golf geströmt sein. Inzwischen ist diese Zahl aufgrund von Satellitenbildern auf 63 Millionen Gallonen korrigiert worden. Etwa ein Drittel des Öls im Persischen Golf geht laut OSIR auf die Folgen der Bombenangriffe der „Alliierten“ zurück.
Das neue Tankerunglück in Italien wird vermutlich in der nächsten Ausgabe von OSIR ausführlich behandelt. Die Bewältigung von „Kommunikations-, Organisations- und Managementproblemen“ beim Katastrophen-Handling wird dabei sicherlich in gewohnter Weise kritisch abgeklopft. Das Unglück von Arenzano hat darüber hinaus gute Chancen, von der Redaktion als „Megaspill“ eingestuft und in die Hitliste der 26 größten Katastrophen seit 1978 eingereiht zu werden. Megaspills sind Katastrophen, bei denen mindestens 10 Millionen Gallonen Öl auslaufen. Unangefochtener Spitzenreiter unter den magspills ist die „Ixtoc I“, die am 3. Juni 1979 140 Millionen Gallonen Öl aus ihrem monströsen Bauch in den Golf von Mexiko entließ.
Wer also alles über die neue Ölkatastrophe wissen will, und über alle kommenden, der sollte 'Oilk Spill Intelligence Report‘ abonnieren — für 597 Dollar im Jahr. Und wer dann noch Fragen hat, der darf den „Databasse-Editor“ des Blattes, Jeff Welch, auch ganz persönlich anrufen. Die Zukunft des Blattes scheint auf Jahrzehnte gesichert, und das Publikum darf gewiß sein: Wenn schon nichts gegen die Tnakerseuche und ihre mit naturgesetzlicher Regelmäßigkeit wiederkehrende Ölpest getan wird, so wird sie wenigstens publizistisch mustergültig verwaltet.
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