Cholera bedroht nun auch Brasiliens Indianer

Epidemie überschreitet die Grenze in das Amazonasgebiet/ Indianerstämme am Rio Solimoes am meisten gefährdet/ Die Indianerdörfer ähneln den Favelas der Großstädte/ Konferenzmarathon der Gesundheitsminister in Bolivien und Panama  ■ Von Astrid Prange

Rio de Janeiro (taz/epd) — Brasilien hat seinen ersten eigenen Cholerafall: in der Grenzstadt Tabatinga wurde die Krankheit gestern bei einem 18jährigen Jungen festgestellt. Anders als bisherige Erkrankte im Land hatte er sich nicht bei Reisen nach Peru angesteckt.

Nun könnte die Krankheit nach Schätzungen des Gesundheitsministeriums in sieben Tagen die 1.500 Kilometer entfernte Amazonas- Hauptstadt Manaus erreichen. Von dort aus wäre die rasante Ausbreitung der Epidemie über den Luftweg, die Schiene oder Straße in die Industriezentren Rio de Janeiro und Sao Paulo nicht mehr aufzuhalten.

Bedroht von der Seuche sind zunächst besonders die 25.000 Indios vom Stamm der Tikunas, die verstreut am oberen Rio Solimoes leben — der Fluß, an dem auch Tabatinga liegt. Der Rio Solimoes speist sich aus unzähligen Zuflüssen aus Peru. Am Oberlauf liegt die peruanische Stadt Iquitos, wo bereits eine große Zahl von Cholerakranken registriert wurde.

Die Indiodörfer mit durchschnittlich 2.000 Einwohnern ähneln den Elendsvierteln in den großen lateinamerikanischen Städten, erläutert der Gesundheitsexperte Ulisses Confalonieri vom Forschungsinstitut Oswaldo Cruz in Rio. Wie in den berüchtigten Favelas fehle auch in diesen Dörfern „ein Minimum an menschlicher Hygiene“. Confalonieri hat die Aufgabe, indianische Gesundheitsarbeiter auszubilden, die über die Vorbeugung der Krankheit aufklären sollen.

Die Ureinwohner müßten es unbedingt vermeiden, so der Experte, in der Nähe von Siedlungen zu fischen und entferntere Flüsse aufsuchen. Der Genuß von rohem Fisch hat sich bereits in Peru als eine der wichtigsten Ansteckungsursachen erwiesen. Fische sind aber die Hauptproteinquelle der Tikuna-Indianer und der gesamten Bevölkerung im Amazonasgebiet.

Um das Schlimmste zu verhindern, hat die brasilianische Regierung ein Hilfsprogramm im Wert von 5,5 Millionen Dollar genehmigt. Mit dem Geld sollen Laborausrüstungen und Medikamente angeschafft werden. Außerdem sollen die Amazonasbewohner in drei Monaten mit 16.300 Toiletten, einer mobilen Station für Abwasserreinigung und mit gechlortem Wasser versorgt werden. Das Netz von Abwasserleitungen ist im Amazonasgebiet äußerst grobmaschig. Im Bundesstaat Rondonia zum Beispiel sind nur 0,4 Prozent der Haushalte an die Kanalisation angeschlossen.

Seit dem Ausbruch der Epidemie in Peru hat die Regierung in Brasilia insgesamt zehn Millionen Dollar ausgegeben. Auf dem internationalen Flughafen in Rio herrscht seit zweieinhalb Monaten höchste Alarmbereitschaft. Alle Maschinen aus Peru, Kolumbien und Ecuador werden kontrolliert. Die Krankenhäuser untersuchen ihre Abwässer auf den Cholera-Bazillus hin. Eine großangelegte Kampagne ist in Vorbereitung, die die Bevölkerung aufklären soll, wie sie der Krankheit vorbeugen kann. „Wir haben uns gründlich auf die Behandlung der Patienten vorbereitet“, erklärt der stellvertretende brasilianische Gesundheitsminister Luis Romero Farias.

Für die rund 40.000 Yanomami- Indianer an der Grenze zu Venezuela hat die Regierung aber offenbar zuwenig Geld. Einer ihrer Führer, der Schmane Davi Kopenawa, ersuchte vergangene Woche in Washington Vertreter der Weltbank und den brasilianischen Generalsekretär der OAS, Joao Baena Soares, um Hilfe beim Kampf gegen ihren drohenden Untergang.

„Ich lebe in Watori und ich bin hierher gekommen, um mein Volk vor dem Tod zu schützen“, erklärte Kopenawa. Pro Jahr sterbe jeder sechste Yanomami an Krankheiten, die Goldsucher bei der Invasion in ihr Gebiet eingeschleppt hätten. Nun droht den Indianervölkern des Amazonasgebietes ein neues Massensterben.

Santiago (ips) — Unter dem Eindruck der drei offiziell bestätigten Cholerafälle Chiles überlegt sich die Regierung in Santiago nun, Maßnahmen zu ergreifen. Wie Gesundheitsminister Jorge Jimenez vergangene Woche erkannte, dürften Gemüse- und Obstkulturen eigentlich nicht mit Abwässern bewässert werden. Die Cholera-Gefahr beweise außerdem die Notwendigkeit, mit dem Bau von Kläranlagen zu beginnen. Santiagos Obst- und Gemüsehändler beklagen einen 85prozentigen Umsatzrückgang, seitdem vor einer Woche der Verkauf von Speisen mit rohem Gemüse, Früchten und Meerestieren in Santiago verboten wurde. Aus Protest warfen Fischhändler in der Hauptstadt letzten Donnerstag sechstausend Kilo Fisch und Meerestiere auf die Straßen.

Santa Cruz (dpa) — Gestern ging in Bolivien eine Cholera-Konferenz verschiedener südamerikanischer Gesundheitsminister mit einem Hilferuf an die Weltgesundheitsorganisation WHO zu Ende gegangen. Die Staaten Bolivien, Peru, Ecuador, Kolumbien und Venezuela verlangten finanzielle und wissenschaftliche Unterstützung eines gemeinsamen Planes zur Cholerabekämpfung.

Panama (afp) — Die Gesundheitsminister Mittelamerikas kommen am Dienstag und Mittwoch in Panama zu einer Konferenz zusammen, auf die Maßnahmen gegen die Ausweitung der Choleraepidemie auf die mittelamerikanische Region beschlossen werden sollen. Der Maßnahmenkatalog soll dann am Freitag den Präsidenten Mittelamerikas vorgelegt werden.

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