: Hoffen auf Normalisierung in einem zerstörten Land
Die Versorgungslage im Irak ist dramatisch/ Horrende Preise auf dem Schwarzmarkt/ Im Juni wird alles besser, verspricht die Regierung ■ Aus Bagdad Khalil Abied
Der Fastenmonat Ramadan endet, wenn die Mosleme am Himmel den Halbmond sehen. Doch wann der Halbmond als sichtbar gilt, ist keine einfache Frage. Wenn es etwa zwischen zwei arabischen Staaten Konflikte gibt, feiern sie das A'id al Fitr, das Fest des Fastenbrechens am Ende des Ramadan, nicht zur gleichen Zeit, selbst wenn es Nachbarstaaten sind. Daß man im Irak, in Saudi-Arabien und im Iran den Halbmond zu unterschiedlichen Zeiten sieht, hat bereits Tradition. So wie sie die Dinge auf der Erde verschieden betrachten, deuten sie auch den Himmel ein jeder auf seine Weise. Auch in diesem Jahr mußte der Irak alleine feiern, als man dort vor wenigen Tagen das A'id al Fitr beging.
Eigentlich ist die Zeit des Festes vor allem für die Kinder die glücklichste Zeit im Jahr. Drei Tage lang dauern normalerweise die Feiern. In den Haushalten wird aufwendig gekocht, sogar in den ganz armen Familien leistet man sich Fleisch und Obst. Und man macht sich schön für das Fest: Neue Kleider werden gekauft, die Friseure haben Hochkonjunktur. Die Kinder genießen während der Festtage mehr Freiheiten als sonst. Nachbarn und Verwandte statten sich gegenseitig Besuche ab.
„Alles ist gut, wir sind zufrieden“, antwortet mir ein 65jähriger Schneider in Bagdad auf meine Frage. Doch als die zwei Kunden in seinem Laden gegangen sind, verschließt er die Tür: „Wie kannst Du mich fragen, ob ich gute Geschäfte mache? Ich habe meinen einzigen Sohn verloren. Er war 22 Jahre alt, Ingenieur. Ich hatte immer gehofft, daß er sich im Alter um mich kümmert. Mein Herz ist gebrochen“, sagt der alte Mann und beginnt zu weinen. „Mein Leben hat keine Bedeutung mehr.“ „Das A'id-Fest? Ach, wir können nicht mehr fröhlich sein“, sagt auch die 29jährige Faten, die zwei kleine Kinder zu versorgen hat. „Ich bin Ärztin, mein Mann ist auch Arzt — er ist jetzt bei der Armee, in Basra. Ich bemühe mich, wenigstens die Kinder froh zu machen, damit sie die furchtbare Zeit des Krieges vergessen. Aber alles ist sehr teuer“, klagt Faten. „Ein Kilo Äpfel kostet elf Dinar, ein Kilo Fleisch zwölf. Im Monat verdiene ich 180 Dinar und mein Mann auch, das reicht keine zehn Tage.“
Die staatlichen Reserven sind erschöpft
Die Inflation ist im Irak zu einem explosiven Problem geworden. Nach offiziellen Angaben haben sich die Preise der grundlegenden Produkte allein in den letzten 40 Tagen versechsfacht. Bei anderen Produkten sind die Preise sogar um 2.000 Prozent gestiegen. Noch verkauft die Regierung stark subventionierte Lebensmittel an die Bevölkerung, aber viel zu wenig. Doch die staatlichen Reserven sind fast erschöpft, und durch die Kämpfe im Norden und Süden des Irak ist die Landwirtschaft schwer in Mitleidenschaft gezogen. Insbesondere in den einst so ertragreichen kurdischen Gebieten sieht man jetzt Getreide und andere Agrarprodukte auf den Feldern, und niemand ist da, um sie zu ernten. Immer mehr Lebensmittel müssen die Bewohner Bagdads auf dem Schwarzmarkt kaufen, zu horrenden Preisen.
„Viele Familien haben sich in diesem Jahr aber auch nicht besucht, weil sie kein Obst oder Süßigkeiten kaufen konnten und sich schämten, ihren Gästen nichts anbieten zu können“, erzählt die 40jährige Hausfrau Um-Moutaz. „So besuchen sie ihre Verwandten und Nachbarn nicht, damit diese sie nicht auch besuchen kommen. Viele Verwandte, die in weiter entfernten Vierteln von Bagdad wohnen, konnten mich zum Aid- Fest aber auch wegen der Benzinknappheit nicht besuchen kommen“, fährt Um-Moutaz fort. Benzin muß auf dem Schwarzmarkt zum 40fachen des offiziellen Preises gekauft werden, und private Busse und Taxis sind so für viele unerschwinglich teuer geworden.
Die irakische Regierung ist zur Zeit darum bemüht, die Versorgung der Bevölkerung mit den zentralen Dienstleistungen wie Wasser, Strom und Treibstoff zu versorgen. Die große Ölraffinerie von Biegi im Nordirak hat nach einem Bericht der Zeitung 'Al Thawra‘ ihre Arbeit bereits zum Teil wieder aufgenommen, im Juni soll sie wieder mit voller Kraft produzieren. Demonstrativ besuchte Saddam Hussein letzte Woche auch die Ölraffinerie in Doura, 25 Kilometer von Bagdad entfernt. Den mit der Reparatur der Anlage beschäftigten Arbeitern und Ingenieuren dankte er für ihre Leistungen, und den Irakern versprach er, daß im Juni die Rationierungen aufgehoben und sie wieder so viel Benzin wie vor dem Krieg bekommen würden. Auch der Flughafen und die irakische Fluggesellschaft sollen ab Juni angeblich wieder funktionieren. So ist der Juni für die Menschen in Bagdad zum Monat der Wunder geworden.
Gerüchten zufolge soll die Regierung sogar planen, den Irakern wieder Reisen ins Ausland erlauben. „Die Mehrheit hat zwar kein Geld, um so eine Reise zu bezahlen, aber ein solcher Schritt hätte sicherlich eine starke psychologische Wirkung“, meint ein Händler in Bagdad. „Ein Gefangener haßt seinen Platz, weil er ihn nicht verlassen darf. Wenn er das Gefühl hat, daß er hierbleiben oder weggehen kann, fühlt er sich freier — egal ob er tatsächlich das Geld dazu hat oder nicht.“
Andere Iraker haben aber auch Sorge vor einem solchen Schritt. „Viele Intellektuelle, Techniker und erfahrene Handwerker werden das Land verlassen“, äußert ein Schriftsteller in Bagdad seine Furcht. „Der Irak wird seine ,Brains‘ verlieren, wir werden ausbluten. Wegen der Situation nach dem Krieg, den zerstörten Fabriken und der brachliegenden Landwirtschaft gibt es hier kaum Arbeitsmöglichkeiten. Viele Leute, gerade die jungen, sehen keine Zukunft und sind ohne Hoffnung. Sie werden ins Ausland gehen und dort ihre Chancen suchen.
Derweil steht in den irakischen Zeitungen inzwischen auch bislang völlig Ungewohntes. So erscheinen Artikel und Karikaturen, die die Bürokratie und Korruption kritisieren und mehr Demokratie fordern. „Warum gibt es Benzin nur auf dem Schwarzmarkt?“, fragt so beispielsweise ein Redakteur in seinem Artikel, und setzt nach: „Und wer liefert das Benzin für den Schwarzmarkt, wenn die Tankstellen doch vom Geheimdienst und der Armee bewacht werden?“
Ein irakischer Journalist bewertet mir gegenüber diese Entwicklung jedoch skeptisch: „Die Regierung weiß genau, daß die Leute weniger Angst haben und mehr kritisieren. So bevorzugen es die Machthaber, daß auch die offizielle Propagandamaschinerie diese Stimmung der Bevölkerung ausspricht, weil sie sonst ihre Glaubwürdigkeit verliert.
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