Lindau — eine Stadt auf Gummi

■ 40.000 Kubikmeter Rohkautschukabfälle sollen in Lindau vergraben sein/ Kommunale Kungeleien mit den Müllkutschern?/ Jetzt will der Metzeler-Konzern nichts gewußt haben

Lindau (taz) — Was ein ortsansässiger Ökologe Ende März in einem Lindauer Waldstück beobachtet hat, ließ den Mann zunächst seinen Augen nicht trauen. Ein Bauunternehmen der liebenswerten Bodensee- Stadt fuhr nach und nach mehr als 40 LKW-Ladungen grau-brauner Gummiabfälle in das idyllische Waldstück und kippte den mit Bauschutt vermischten Dreck neben einem Bach den Steilhang hinunter.

Für den alarmierten Erich Jörg, Kreisvorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz in Deutschland, war der Fall klar: Er erstattete Strafanzeige gegen den Müllkutscher. Die Bodensee-Region das größte Trinkwassereservoir im Südwesten. Doch Jörg sah sich eines Besseren belehrt. Der Gummiberg von 250 Kubikmetern liegt noch immer im sogenannten Motzacher Tobel. Denn für Landrat Klaus Henninger sind die abgekippten Massen an Rohkautschuk, alles Produktionsreste der Reifenfirma Metzeler, eigentlich gar kein Abfall. Mindestens 35.000 bis 40.000 Kubikmeter der grau-braunen Masse seien im weiten Umkreis über Jahrzehnte hinweg verbuddelt worden, und niemand hätte sich aufgeregt, ließ der Landrat verlauten. Auch die Staatsanwaltschaft, das Wasserwirtschaftsamt und die schwäbische Bezirksregierung machten sich am letzten Wochenende noch immer Gedanken, „ob die Ablagerungen Abfallqualität haben“.

Der Fuhrunternehmer Erich Baller, der mit den Gummiabfällen „nur eine ausgewaschene Mulde auffüllen wollte“, hält die ganze Aufregung für überzogen. Er habe kein Unrechtsbewußtsein. Freilich überlegt auch er mittlerweile, ob er „das Zeug nicht vielleicht wieder wegfahren sollte“. Inzwischen hat die Stadt Lindau nämlich eine entsprechende Beseitigungsverfügung eingeleitet. Dabei weiß der einschlägig erfahrene Bauunternehmer Baller: „Direkt neben den 250 Kubikmetern, die ich abgelagert habe, wurden von der Stadt, oder mit Genehmigung der Stadt, vor Jahren mehr als 15.000 Kubikmeter abgelagert.“ Der Geschäftsmann, der aus den früheren Gummiablagerungen quasi ein Recht auf weitere Gummikippen ableitet, hat mit seinen Vorwürfen recht. Nach und nach kommen in Lindau immer mehr riesige Gummihalden zum Vorschein. Über Jahrzehnte hinweg hat man offensichtlich die Kautschukreste des Reifenkonzerns und großen örtlichen Arbeitgebers Metzeler im Stadtgebiet und drumherum einfach vergraben.

Zum Teil gibt das die Metzeler- Firmenleitung inzwischen auch offen zu. Kiesgruben und größere Erdmulden seien mit behördlicher Genehmigung verfüllt worden. Zwei Gutachten, die das Werk in Auftrag gegeben hat, hätten bescheinigt, die Kautschukreste könnten bedenkenlos abgelagert werden, ohne daß eine Gefährdung des Trinkwasserspeichers Bodensee zu befürchten sei.

Die jüngste Ablagerung im Wald hält die Geschäftsleitung jedoch für ein „Unding“. Die Firma fühlt sich aber für den Umweltfrevel nicht verantwortlich. Abfuhrunternehmer Baller hätte die ordnungsgemäße Entsorgung vertraglich zugesichert. Die Geschäftsverbindung sei unverzüglich nach dem Vorfall beendet worden. Man überlege sogar, ob man die Firma nicht wegen Vertragsbruchs verklage.

Den bayerischen Grünen reicht das nicht. Sie wollen Licht in die Hintergründe der Müllkutscherei bringen. Raimund Kamm hat eine Landtagsanfrage eingebracht. Er will wissen, ob hohe Spenden der Firma Baller an das Rote Kreuz, dem wiederum Landrat Henniger vorsteht, nicht „zumindest eine Interessenkollision darstellen könnten“. Schließlich habe Henniger die Ablagerungen verteidigt. Zuvor hatte sich bei der schwäbischen Bezirkssprecherin der Partei ein Informant gemeldet, der sie zu sechs weiteren riesigen Gummiablagerungen geführt hat. Der Mann kennt aus eigener Erfahrung genau die Stellen, wo das Zeug früher hingekippt wurde. Kurios dabei, daß zum Beispiel der Parkplatz bei den Metzeler-Werken auf einer solchen Gummihalde errichtet worden sein soll. Bemerkenswert auch, daß die Müllumladestation der Stadt sowie der Schrottplatz eines Unternehmens, das ebenfalls jahrelang bei Metzeler Gummiabfälle abgefahren haben soll, auf Gummi gebaut sind.

Doch der Informant, der aus Furcht seinen Namen nicht genannt wissen will, legte noch zu: „Die haben alles mögliche da mit reingekippt. Putzmittel, Chemikalien wie Per und Tri, die zum Lösen der Kautschuk-Metall-Verbindungen benötigt wurden, Nitro — und das alles fässerweise!“ Die Metzeler-Firmenleitung und der Bauunternehmer Baller beteuern bisher, daß dies ausgeschlossen sei. In Lindau geht derweil das geflügelte Wort von „der Stadt auf Gummi“ um. Klaus Wittmann