: Tod an den Grenzanlagen aufgeklärt
Michael Gartenschläger wurde 1976 beim Abbau von Selbstschußanlagen an der deutsch-deutschen Grenze von einem Sonderkommando der Stasi erschossen/ Todesschützen sind den Behörden bekannt ■ Von Wolfgang Gast
Berlin (taz) — Für den Tod des 32jährigen Michael Gartenschläger, der im März 1976 beim Abbau einer Selbstschußanlage an der deutsch- deutschen Grenze erschossen wurde, trägt das frühere Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die Verantwortung. Wie die Berliner Justiz gestern mitteilte, wurde Gartenschläger von einem extra abkommandierten Sonderkommando des MfS getötet. Den Ermittlern der „Arbeitsgruppe Regierungskriminalität“ in Berlin sollen auch die Namen der mutmaßlichen Todesschützen bekannt sein.
Der aus Ost-Berlin stammende Gartenschläger war 1961 nach einem Schauprozeß vom Bezirksgericht Frankfurt (Oder) zu lebenslangem Zuchthaus wegen „staatsgefährdender Gewaltakte und staatsgefährdender Propaganda und Hetze in einem schweren Fall“ verurteilt worden. Nach über neun Jahren Haft wurde er 1971 in die Bundesrepublik abgeschoben. Offensichtlich verfolgte die Stasi auch anschließend jeden der Schritte Gartenschlägers in der Bundesrepublik.
Der Staatssicherheitsdienst muß genaue Kenntnis von Gartenschlägers Plänen gehabt haben. Das MfS ließ genau an dem Grenzabschnitt, an dem Gartenschläger die Selbstschußanlage abbauen wollte, die regulären DDR-Grenztruppen durch ein Stasi-Sonderkommando ersetzen. Gartenschläger hatte bereits zwei Selbstschußanlagen von den Sperranlagen abmontiert, als er mit zwei Begleitern in die Nähe des Grenzabschnitts bei Büchen in Schleswig-Holstein versuchte, einen weiteren der trichterförmigen Schußapparate zu demontieren. Dabei wurden sie plötzlich mit Scheinwerfer angeleuchtet — und es wurde geschossen. Die Berliner Justiz prüft zur Zeit noch den Verdacht, ob es sich dabei um eine vorsätzliche Tötung gehandelt hat.
Den Befehl zum Einsatz des Stasi- Sonderkommandos soll Stasi-Chef und Armeegeneral Erich Mielke persönlich gegeben haben. Mielke sitzt zur Zeit in Untersuchungshaft in Berlin-Moabit. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen Veruntreuung zu Lasten sozialistischen Eigentums, wegen Abhöraktionen und der Anstiftung zur Strafvereitlung im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen in der DDR gegen ihn erhoben. Noch sei nicht geklärt, ob Mielke lediglich die Gefangennahme Gartenschlägers angeordnet habe. Wenn die Befehlslage feststehe, heißt es in der Justizverwaltung, werde voraussichtlich auch gegen die Mitglieder des Sonderkommandos vorgegangen.
Nach dem Schußwechsel sollen die Stasi-Mitarbeiter die Leiche Gartenschlägers auf einem Lastwagen abtransportiert haben. Sie soll anschließend heimlich auf einem Friedhof im mecklenburgischen Schwerin begraben worden sein.
Der Abbau der Selbstschußanlagen hatte seinerzeit großes Aufsehen in der westdeutschen Öffentlichkeit erregt, weil damit zum ersten Mal die Funktionsweise der Schußautomaten untersucht werden konnte. Bis zum vollständigen Abbau der Apparate mit Stolperdrähten und Schußanlagen im Jahre 1984 war die deutsch-deutsche Grenze mit rund 55.000 dieser Anlagen bestückt.
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