: Mord und 30facher Mordversuch
■ Bundesanwaltschaft erhebt Klage gegen den RAF-Aussteiger Henning Beer/ Karlsruher Behörde will Kronzeugenregelung beantragen/ 1982 in die DDR übergewechselt und im letzten Jahr verhaftet
Berlin (taz) — Die Generalbundesanwaltschaft hat vor dem 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz Anklage gegen das frühere Mitglied der Rote Armee Fraktion (RAF) Henning Beer erhoben. Wie die Bundsanwaltschaft gestern mitteilte, wird dem 32jährigen, der seinen Ausstieg aus der RAF 1982 mit der Übersiedlung in die DDR besiegelte, neben der Mitgliedschaft in der RAF ein Mord und 30facher Mordversuch in vier Fällen vorgeworfen. Neben dem mißglückten Attentat auf den Oberkommandierenden der Nato- Truppen in Europa, Alexander Haig, im Juni 1979 soll Beer auch bei dem Sprengstoffanschlag auf das Hauptquartier der Nato-Luftstreitkräfte Europa-Mitte in Ramstein am 31. August 1981 beteiligt gewesen sein. Dabei wurden 17 Personen zum Teil schwer verletzt. Weiter legt die Bundesanwaltschaft Beer einen Bankraub in Zürich zur Last, bei dem eine Passantin getötet und zwei Polizisten lebensgefährlich verletzt wurden. Schließlich soll sich Beer wegen des Anschlages auf den Oberkommandierenden der US-Streitkräfte in Europa, General Frederik Kroesen, verantworten, der bei dem Attentat zusammen mit seiner Ehefrau am 15. September 1981 leicht verletzt wurde.
Henning Beer wurde am 18. Juni letzten Jahres in der DDR festgenommen. Er gehörte zu der Gruppe von RAF-Aussteigern, die Anfang der 80er Jahre von der DDR „eingebürgert“ und vom Staatssicherheitsdienst mit einer neuen Legende versehen wurden. Nach seiner Verhaftung machte Beer vor der Karlsruher Bundesanwaltschaft umfassende Aussagen.
Wie die anderen RAF-Aussteiger aus der DDR soll auch Henning Beer unter die Kronzeugenregelung fallen. Sie sieht eine erhebliche Strafmilderung für die Fälle vor, in denen die Angeklagten durch ihre Angaben zu einer umfassenden Aufklärung des Tatgeschehens beitragen. Überrascht zeigten sich gestern Beobachter von RAF-Verfahren, daß die Bundesanwaltschaft auch in den Fällen Anklage wegen Mordversuchs erhoben hat, in denen Beer an der Tatausführung nicht beteilgt war. Beim Anschlag auf das Nato-Hauptquartier in Ramstein räumte Beer ein, für den Transport der Sprengstoffbomben und der Ausspähung des Flughafengeländes in Ramstein gestohlene Fahrzeuge mit gefälschten Kennzeichen präpariert zu haben. Am Tatort selbst war er nicht. Auch an der unmittelbaren Tatausführung auf den US-General Kroesen war Beer nicht beteiligt. Er soll aber in einem Zeitraum von vier bis sechs Wochen die Fahrtrouten des Generals ausgekundschaftet und falsche Kennzeichen an die Tatfahrzeuge montiert haben. Die Bundesanwaltschaft begründet den Vorwurf des Mordversuchs damit, daß die Anschläge „von der ganzen Gruppe ins Werk gesetzt“ wurden. wg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen