Kohl sieht keine Glaubwürdigkeitskrise in der CDU-Politik

■ CDU müsse allerdings in Zukunft „auf die Menschen hören“/ Die Bonner SPD fühlt sich „wieder da“, und die Grünen wollen in Mainz regieren

Lernfähig ist er ja, bisweilen, der Bundeskanzler. Nach deftigen Wahlverlusten spricht Helmut Kohl nicht mehr davon, wie noch vor einigen Jahren, „eine Niederlage errungen zu haben“. Heute, nachdem ihm seine Heimat politisch abhanden gekommen war, sprach der Regierungschef von „einer bitteren Niederlage, um es klar und deutlich auszusprechen“. Indes machte er klar und deutlich, daß ihm eine Nachhilfestunde in Gemeinschaftskunde gut zu Gesicht stünde, bezeichnete er doch den Bundesrat mit einem machtpolitischen Freudschen Versprecher als „2. Kammer unserer Bundesregierung“.

Die SPD-Mehrheit im Bundesrat nach dem Triumph im Land rund um Oggersheim war Kohl gestern ein wichtiges Anliegen. Das Wahlergebnis bringt „eine neue Situation für die SPD, damit hat sie eine neue Dimension von Verantwortung“, so Kohl, insbesondere was die Politik in den neuen Ländern betreffe. Auf Fragen zu kritischen Äußerungen seines Parteifreundes Geißler wollte Kohl nicht direkt eingehen. Eine neue Parteistrategie nach dem „verheerenden Wahlergebnis“ (Geißler) hält der Parteivorsitzende nicht für nötig, denn: „Unsere hervorragende Politik wird von den Bürgern zu sehr als Selbstverständlichkeit konsumiert.“ Und eine Glaubwürdigkeitskrise in der CDU-Politik, wie von Geißler moniert, wollte Kohl auch nicht erkennen, höchstens „ein Glaubwürdigkeitsdefizit im Steuerbereich. Da müssen wir besser an die Menschen herankommen, darauf hören, was sie berührt.“

Kohl sah sich umringt von den rheinland-pfälzischen Wahlverlierern Wagner und Wilhelm. Die beiden griffen den Kanzler, wenn auch durch die Blume formuliert, unüberhörbar an. Der Landesvorsitzende Hans-Otto Wilhelm sprach von „strukturellen Deformierungen“ in der CDU, die die Parteiführung — sprich Kohl — viel zu spät versuche zu ändern. Der abgewählte Ministerpräsident Karl-Ludwig Wilhelm bemerkte in einer Mischung aus Bescheidenheit und Zuversicht, daß die CDU „die mit Abstand zweitstärkste Partei“ geworden sei, wollte aber die Gründe für „die schwere Niederlage, den herben Schlag, den gravierenden Wahlverlust“, nicht nur hausgemacht gewertet sehen, sondern auch „von außen“ importiert — sprich aus Bonn: „Eine erfolgreiche Landespolitik konnte die Steuererhöhungen nicht überlagern.“ In solchen Momenten sahen wir des Kanzlers unruhige Hände nervös hochschnellen, seinen Blick verdreht zum Himmel gerichtet, und zudem seine Zunge zwischen immer dünner geformten Lippen hervorrutschen. Da wolle er, Kohl, doch aber auch mal „ein paar Bemerkungen zum Thema machen“. Nach außen sei jetzt „das Profil der CDU deutlich zu machen“; intern, in Präsidium und Vorstand, werde „intensiv weiterdiskutiert“, und parteipersonell müsse man „den Generationenwechsel stärker fördern“. Die Stimmung untereinander im Präsidium, so Wilhelm indes, sei „nicht sehr fröhlich“. Dem Wahlsieger SPD hatte Wilhelm noch etwas ins Stammbuch zu schreiben. „Schmutzigen Lorbeer“ hätten die Sozis geerntet, weil deren „Wahlkampf an die Zeiten der Weimarer Republik“ erinnert habe.

„Ein solides Bündnis“ solle er eingehen, riet der designierte SPD-Vorsitzende Björn Engholm seinem Parteifreund Rudolf Scharping. Will sagen: Nimm die FDP und nicht die Grünen. Er gebe Björn Engholm recht, wenn der einer sozialliberalen Koalition in Mainz „einen größeren Charme“ abgewinnen könne als einer rot-grünen, reagierte sofort der rheinland-pfälzische FDP-Vorsitzende Rainer Brüderle. Der Bundesvorstand der Liberalen werde den Mainzern für Gespräche mit der SPD „Rückendeckung“ geben, verkündete die stellvertretende Vorsitzende Irmgard Adam-Schwaetzer gestern in Bonn. Die Bundesbauministerin freute sich sehr über das „schöne Ergebnis“ der Landtagswahlen. Sie hatte noch nie einen Hehl daraus gemacht, daß sie auf SPD-FDP-Koalitionen mehr steht als auf christlich-liberale. Der Koalitionsaussage zugunsten der CDU sei nun „der Boden entzogen“, jetzt gehe es darum, „Rot-Grün zu verhindern“. Noch vor zwei Wochen hatte der FDP- Vorsitzende Lambsdorff verkündet, bei einem Verlust der christlich-liberalen Mehrheit werde die FDP in die Opposition gehen. Daran glaubt in Bonn inzwischen niemand mehr. Trotzdem wollte SPD-Geschäftsführerin Anke Fuchs gestern zur Koalitionsfrage noch nichts sagen. Hauptsache, die SPD sei jetzt „wieder da“. Ihre gestärkte Position im Bundesrat werde sie dazu nutzen, gegen die geplante Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer Widerstand zu leisten. Wie sie das mit einem möglichen Koalitionspartner FDP realisieren will, verriet Anke Fuchs jedoch nicht. Sie sprach lieber davon, wie schlecht die CDU jetzt dastehe: „Sie ist inhaltlich ausgelaugt und personell erschöpft.“ Der amtierende SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel schwärmte dagegen in den höchsten Tönen von der rheinland-pfälzischen SPD. So hätte er die Bundespartei auch gerne: „ruhig, belastbar und bürgernah“. Nach dem Saarland, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hessen sei dies nun „der fünfte SPD-Sieg in Folge“.

Eitle Freude rief das Wahlergebnis bei den Grünen hervor: Renate Damus, Vorstandssprecherin, wertete es gestern in Bonn als „günstiges Ergebnis für die Linken“, daß eine Absage an alle Versuche bedeute, von bewährten Grundsätzen grüner Politik abzugehen. Rheinland-Pfalz zeige, daß das Wahldebakel am 2.Dezember nur ein „Ausrutscher“ war und nicht zur innerparteilichen Polarisierung benutzt werden dürfe. Hubert Kleinert verbuchte es für sich und die seinen, daß die Grünen in Rheinland-Pfalz so gut abgeschnitten haben: Das Ergbnis, so der Realissimo aus Hessen und Kandidat für den kommenden Parteivorsitz, bestätige den Realo-Kurs seiner Partei. Und auch für die gemäßigte Reala und Bundesvorstandssprecherin Heide Rühle hat der Wahlausgang Beweiskraft; er zeige, daß der Mut zur Parteireform innerhalb der Grünen steige. Keine Frage schien es den Bundesgrünen zu sein, was ihre Freunde in Mainz nun zu tun haben. „Jetzt ist Rot-Grün angesagt“, meinte Vorstandssprecherin Rühle. Das Ergebnis der Grünen bezeichnete sie als ersten Zugewinn seit längerer Zeit. Renate Damus hielt fest: „Wir sind keine Mehrheitsbeschaffer der SPD.“ Aber: Jede andere Koalition als Rot-Grün wäre unglaubwürdig. taz-Redaktion Bonn