Schatzbewahranstalt

■ Kolonialware — wohin? taz-Reihe zum Bremer Übersee-Museum (2): das Magazin in der Alten Staatsbibliothek

Es gibt ein Haus in Bremen, da ist eine Welt abgestellt. Und weil die Welt kein Licht verträgt, ist das Haus blind. Das heißt: Man hat seine Glasaugen einfach von innen zugeklappt. Das Haus ist ein bißchen schwermütig geworden darüber, daß es jetzt schon so lange, etwa 15 Jahre, so dunkel ist und überhaupt immer allen im Weg, auch der FDP. Riecht auch schon ein bißchen, als würden die Motten drüber kreisen.

Das Haus ist die ehemalige Alte Staatsbibliothek am Breitenweg, und die Welt in dem Haus ist die alte Welt des Übersee-Museums, seine Kehrseite vielleicht; jedenfalls liegen hier, wo früher Bücher standen, die untergegangenen Museums-Requisiten und warten auf ihre Tage, die eventuell kommen oder auch nie. „Magazin“ nennt die museale Fachwelt den Verbannungsort von unzählig überzähligen Gegenständen, die einem leid tun können, weil: was haben sie nicht, was andere Speere, Lanzen oder Masken haben, die sich dick und fett im Publikumslicht sonnen? Während die kleinen Buddhas aus Burma zum Beispiel noch nie eine Vitrine von innen gesehen haben; immer bloß im Regal gestanden, fett mit Grau bestäubt, als würde das so einem Gold keinen Abbruch tun!

Jetzt sind wir aber schon zu weit gegangen, mindestens schon in den zweiten Stock, und vorher müssen wir ja erst durch diese hohle Speer-Gasse kommen, wo man wegen Dunkelheit erst nichts sieht und dann aber: links und rechts Speere, Speere, Speere. Die müssen einem nicht leid tun. Die gab's sowieso immer zuviel, weil die ersten Kolonialisten gerne Speere gesammelt haben, um von den eingeborenen Trägern nicht zurecht mit denselben erstochen zu werden. Heute soll man nicht mehr mit sowas protzen, als wenn's Trophäen wären, also weg damit ins Magazin — schließlich lehren fünf spitze Speere genausoviel wie 80.

Das Magazin nimmt einem den Atem. Das liegt am Staub und am Gruftgefühl. Das ganze Haus ein einziges provisorisches Sammelsurium. Gut, wenn man über 100, einmal kriegsausgebrannt und in jenen architekturfreien 50ern wiederaufgebaut bzw. halberneuert worden ist. Und immer mal wieder neu ausgenutzt werden soll. Wegen Toplage! Wegen Bahnhofsvorplatz! Pustekuchen, kein Denkmalschutz! Vielleicht ein Drittel schützenswert, sagt die Denkmalpflege. Kein Wunder: Die beiden anderen Denkmals-Drittel wie Giebel und Vorbauten sind damals in den 50ern zuschanden gemacht worden.

Das Ding, also das Haus, kann aber noch lange stehen, zwar als ästhetisches Problem, letztlich hat es aber solide Mauern. Und ist es nicht letztlich doch schön und mit Geschichte? Und müßte nicht sonst das Übersee-Museum seine Ausleger-Finger bis nach Huchting strecken in Schulen oder Gottweißwohin, wenn der Bauträger Kulturbehörde es verkaufen würde? Das Museum träumt vom Umbauen und Zusammenführen von allen versprengten Teilbereichen (wie Bibliothek und Naturkunde) zwecks Zugänglichkeit für Leute von der Straße. Hat mal jemand circa 15 Mille?

Die Bau-und Feuerpolizei drückt bis dahin alle Argusaugen zu, Strom muß im Prinzip draußen bleiben. Zu gefährlich. Eine freirollende Roll-Lampe rollt solange einsam durch die ewige Nacht der Regal-Korridore. Im Vorbeirollen tauchen die Figürchen und Gefäße schockartig unter dem gleißenden Licht weg. Manche sehen aus wie eingekellerte Äpfel, die nicht schrumpfen dürfen. In echten Nächten ist hier eventuell der Teufel los.

Seltsam: so abgestanden und aussortiert bekommen die Dinge eine Art Lebendigkeit, als wären sie keine hermetische Dekoration, sondern harmlos bis zum Anfassen. Eine Gesellschaft wie vom Dachboden. Das machen vielleicht auch die unfeierlichen Risse in den Decken und die Besen unter den Türklinken gegen das Aufspringen bei Bus- und Bahnerschütterungen und die Lifttüre, die ins Nichts führt, weil die Zwischendecke fehlt. Manchmal blinken dich Taschenlampen an zwischen den niedrigen Eisenträgern, das sind ein paar Magazin-Mitarbeiter auf Forschungsdrang.

Mitten zwischen zwei Treppen plötzlich ein Balkon mit ungehobelten Gestalten. Eine Installation? Nein, schadhafte Baumwollpflücker, zu schade zum Wegwerfen, oder abgeblätterte grimmige Wilde und ähnliche Überreste von jenen Figuren, vor denen sich fortschrittliche Völkerkundler schon immer gegraust haben. Unter'm Dach dämmern Amerika-Überbleibsel, Schuh- Zimmer, Gift-Schränke mit Curare-Pfeilen (abgeschlossen!) vor sich hin. Warum lacht da das Völkerkundlerherz? Angesichts dieses gigantischen Staubfängers? Weil man was aufbewahrt hat. Für die Nachwelt. Also eigentlich für dich und mich. Nicht schlecht, wenn man mal reinkönnte.

Claudia Kohlhase