Ohne Kreuz und Fahnen

Vor dem Bonner Amtsgericht müssen sich drei prominente Grüne wegen eines angeblichen Aufrufs zur Fahnenflucht verantworten/ Skurriles am ersten Prozeßtag : Richter entfernt Holzkreuz aus dem Saal  ■ Aus Bonn Bernd Müllender

Politische Prozesse dienen, aus Sicht der Angeklagten, weniger der Wahrheitsfindung, sondern mehr als ideales Forum für die Öffentlichkeit. Das Strafmaß in der ersten Instanz ist dabei zweitrangig, so auch gestern vor dem Bonner Amtsgericht, das über das Tun dreier prominenter grüner Angeklagter zu befinden hatte. Bundesgeschäftsführer Eberhard Walde, Parteisprecherin Renate Damus und der ehemalige Vorständler Christian Ströbele wird vorgeworfen, im Herbst 1990 durch Flugblätter deutsche Soldaten öffentlich zur Fahnenflucht aufgerufen zu haben. Und so was darf man nicht. Die Papiere, in sechsstelliger Zahl gedruckt, hatten damals zweimal für Aufsehen gesorgt, als die Staatsanwaltschaft mit mehreren Dutzend BeamtInnen die grüne Geschäftstelle durchwühlt hatten. Wenn zudem nicht die Angst um Tagessätze die Angeklagten bremst, haben politische Prozesse bisweilen auch einen hohen Unterhaltungswert. Den ersten gleich zu Beginn: Eberhard Walde verlangte, daß das übermenschshohe Kreuz hinter dem Richtertisch augenblicklich entfernt würde, weil es unzumutbar bedrohlich auf ihn wirke, wie „im Zeichen der Inquisition“. Und siehe: Der Richter forderte zwei Saaldiener auf, das Christensymbol in den Nebenraum zu schleppen. Dann mutierte Christian Ströbele — vom Walde- Verteidiger zum Mitangeklagten. Der Staatsanwalt erklärte ihn für befangen, weil hinreichender Tatverdacht bestehe, daß er selbst bei den Flugblätter-Aufrufen beteiligt war. Ströbele wand sich, willigte schließlich ein, und sein abgetrenntes Verfahren wurde der Einfachheit halber gleich mitintegriert. Sein Nettoeinkommen (von Bedeutung für eine mögliche Verurteilung) gab Ströbele mit 2.000 Mark an. „Nicht sehr viel“, merkte tadelnd der jungdynamische Staatsanwalt an, worauf ihn Ströbele zur allgemeinen Erheiterung aufforderte: „Sie können mir ja was von ihren Einkünften abgeben.“ Daß Ströbele einen Strafregistereintrag habe, mochte wiederum die Mitangeklagte Damus nicht glauben: „Aber der war doch Terroristenverteidiger.“ In der Sache schließlich sind politische Prozesse knallharte Auseinandersetzungen. Da wird für die Öffentlichkeit viel effektiver und detaillierter dargelegt, worum es mit der Aufforderung zur Desertion ging als es Millionen Flugblätter selbst können. Alle drei erklärten in der Sache, sie stünden noch immer zum inkriminierten Text, Damus und Walde sind als presserechtlich Verantwortliche klar zu identifizieren.

Bei Ströbele war jedoch prozeßerschwerend, daß die Grünen ein bekannt chaotischer Haufen sind, und daß in den beschlagnahmten Protokollen des Vorstandes, der die Aktion diskutiert hatte, immer nur Vornamen aufgeführt waren. Und wer wolle da schon sagen, ob der „Christian“, von dem da die Rede war, auch wirklich jener Christian Ströbele sei? Walde wollte den Nachnamensverzicht nicht als parteitypisch negativ gewertet wissen.

Bevor sich am Nachmittag Staatsanwalt und Gericht an ihre Aufgabe im Auftrage respektive im Namen des Volkes machten, mußten sie noch eine Ungeheuerlichkeit über sich ergehen lassen. Ströbele beantragte, Kohl und Stoltenberg vorzuladen, zum Beweis, daß die Regierung tatsächlich erwogen hatte, deutsche Soldaten verfassungswidrig am Golf einzusetzen. Dann nämlich, so die Verteidiger, würden sie in diesem Prozeß nicht mit Formalien „politisch kastriert“ und ihre damaligen Argumente für eine Fahnenflucht seien höchstpolitisch bestätigt. Erwartungsgemäß verzichtete das Gericht jedoch auf eine Vorladung. Die Behauptung werde „als wahr unterstellt“. In eine einfache Schlagzeile übersetzt bedeutet das: „Richter: Kohl wollte Angriffskrieg.“ Und zudem kam, als der Staatsanwalt ein beschlagnahmtes Vorstandsprotokoll vorlesen ließ, erstmals an die Öffentlichkeit, daß die Grünen damals Strafantrag gegen Kohl wegen Vorbereitung eines Angriffskrieges gestellt und beantragt hatten, das Kanzleramt zu durchsuchen. Auch dieser Antrag wurde damals abgelehnt.