Eine Bodenreform, die (fast) niemand rückgängig machen wollte

■ Die Enteignungen unter sowjetischer Besatzung waren nicht nur seinerzeit breiter Konsens/ Auch nach der Wende wollte keine der Parteien die Rückgabe

Keine politische Weichenstellung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR blieb — auch nach dem Niedergang des SED-Regimes — unter den neugegründeten Parteien Ostdeutschlands derart unumstritten wie die Enteignung der ostelbischen Großgrundbesitzer, Kriegsverbrecher und Nazi-Funktionäre nach 1945. Zwar nahm keiner der relevanten Nach-SED-Politiker die historische Parole „Junkerland in Bauernhand“ zuhilfe, um die große Enteignung zu rechtfertigen; doch von PDS bis DSU wurde die revolutionäre Umverteilung nie ernsthaft in Frage gestellt. „Die Bodenreform darf nicht rückgängig gemacht werden“, lautete der ansonsten eher rare Parteienkonsens in der kurzen Ära der „demokratischen“ DDR.

Die Bodenreform war nach 1945 von der Sowjetischen Militäradministration in Zusammenarbeit mit den Landesverwaltungen der sowjetischen Besatzungszone und den circa 10.000 sogenannten Bodenreformkommissionen vollzogen worden. Als Grundlage dienten Verordnungen vom 3. und 10. September 1945, nach denen sämtliche landwirtschaftlichen Betriebe mit mehr als 100 Hektar Fläche einschließlich des gesamten Inventars sowie alle Betriebe, deren Eigentümer als aktive Vertreter der NSDAP, als Kriegsschuldige oder Kriegsverbrecher eingestuft wurden, entschädigungslos zu enteignen waren.

Von dieser Maßnahme waren die fünf Länder in unterschiedlichem Umfang betroffen. Während in Thüringen und Sachsen nur zehn beziehungsweise dreizehn Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche von Betrieben mit mehr als 100 Hektar bewirtschaftet wurden, waren es in Sachsen-Anhalt 23, in Brandenburg 30 und in Mecklenburg 48 Prozent. Die enteigneten Flächen wurden in einen Bodenfonds eingebracht. Zwei Drittel von ihnen (circa 2,2 Millionen Hektar) wurden an Privatbetriebe von Landarbeitern, Kleinbauern und Flüchtlingen aus Pommern, Schlesien und Ostpreußen verteilt. Ein Drittel der enteigneten Fläche überführte man in „Volkseigentum“.

Noch bis Anfang der 50er Jahre bestritt die SED, daß man eigentlich die ganze Landwirtschaft kollektivieren wolle.

Bodenreform gegen die ostelbischen Junker

Mit der Bodenreform sollte nicht zuletzt die Legitimation der östlichen Besatzungsmacht sowie die Unterstützung für eine sozialistische Entwicklung Deutschlands gesteigert werden. Die Bodenreform wurde aber auch als Bestrafungsaktion des ostelbischen Junkertums wegen seiner „zentralen Rolle“ für das Scheitern der ersten deutschen Republik und die Herrschaft des Nationalsozialismus propagiert. Mit dem Verlust ihrer ökonomischen Basis sollte der dominante Einfluß, den die preußische Machtelite auf die Entwicklung Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert hatte, für immer gebrochen werden.

In der Bevölkerung fanden die Enteignungen breite Zustimung. So befürworteten bei einer Volksabstimmung in Sachsen 1946, an der sich 93 Prozent der Bevölkerung beteiligten, 77 Prozent die entschädigungslose Enteignung, nur 16 Prozent sprachen sich dagegen aus. Auch die westlichen Alliierten planten in ihren Besatzungszonen eine Bodenreform. Noch im April 1947 billigten die vier alliierten Außenminister entsprechende Pläne, die erst mit dem Beginn des Kalten Krieges ad acta gelegt wurden.

Die Bodenreform galt der Mehrheit der DDR-Bevölkerung als bewahrenswerte „Errungenschaft“ des gescheiterten Systems. Auch im Westen fanden diejenigen, die nicht nur die Enteignungen nach 1949, sondern auch die unter sowjetischer Aufsicht durchgeführte Umverteilungsmaßnahmen als „kommunistischen Willkürakt“ rückgängig machen wollten, wenig Gehör. Befürworter einer Rückgabe, wie der jetzige FDP-Fraktionschef im Bundestag, Solms, fanden sich lediglich in den Reihen der Liberalen und unter den Nachkommen der ehemaligen Besitzer, die von einer Rückübertragung zu profitieren hofften.

Ansonsten herrschte bei den westlichen Entscheidungsträgern Realismus. Vorbehalte, nach denen es sich bei der Bodenreform um einen gravierenden Eingriff in die Eigentumsrechte der Betroffenen gehandelt habe, dessen Unvereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Prinzipien außer Frage stehe, fanden in Bonn nur verbale, aber folgenlose Zustimmung.

Entschieden wurde pragmatisch. Denn gewichtige politische Gründe ließen eine Festschreibung der Bodenreform im Einigungsvertrag und im Grundgesetz als zwingend erscheinen: Der Plan einer Rückübertragung hätte mit großer Wahrscheinlichkeit den Einigungsvertrag in der Volkskammer scheitern lassen.

Der zähe Kompromiß über die Frage der Enteignungen nach 1949, der zwischen den Regierungen der Bundesrepublik und der DDR ausgehandelt wurde, wäre an der Einbeziehung der Bodenreform gescheitert. Bedeutsamer noch als während der Einigungsverhandlungen erscheinen heute jedoch diejenigen Stimmen, die vor der ungeheuren Belastung des gesellschaftlichen Einigunsprozesses warnten, wenn fast ein Drittel der gesamten Fläche der ehemaligen DDR an die alten Besitzer, die heute fast ausnahmslos im Westen leben, zurückgegeben würde. Diesem entscheidenden — eher politischen als juristischen — Einwand hat sich gestern dann auch das Bundesverfassungsgericht nicht verschlossen. Matthias Geis