»Die UNO kennt keine Völker«

■ Berlinweite Veranstaltung zu Kurdistan in der FU

Dahlem. »Erst liefern, dann töten lassen, danach humanitäre Hilfe leisten«. So lautete das bittere Motto einer Podiumsdiskussion zur Situation in Kurdistan Dienstag nachmittag im Audimax der Freien Universität, zu der die Studentenvertretungen berlinweit eingeladen hatten.

Die an der Wand prangende Parole, die auf die Diktator-Macher in der westlichen Rüstungsindustrie mit ihren Waffen- und Giftgaslieferungen verwies, hätte der Diskussion im halbvollen Audimax den Weg weisen können. Aber am Ende dominierte doch wieder das Gehacke der diversen studentischen Sekten. Schade, denn: Die Referenten auf dem Podium hatten Interessantes vorgetragen.

Sowohl Dr. F. Ibrahim als auch ein Vertreter des »Kurdistankomitees Köln« versuchten noch einmal, die Existenzprobleme des auf fünf Staaten aufgeteilten kurdischen Volkes historisch aufzurollen. Die Baath-Partei sei prinzipiell nicht bereit, die Kurdenfrage anders als durch »Vertreibung, Arabisierung und Baathisierung« zu lösen, so Ibrahim. Jahrzehntelang sei auch den Kurden in der Türkei nicht nur das Recht auf eine eigene Sprache und Kultur, sondern auch auf ihre eigenständige Abstammung abgesprochen worden, ergänzte der Referent des Kurdistankomitees. Als die Türken aus Mittelasien eingewandert seien, so die türkische Umfälschung der Geschichte, sei ein Teil in den Bergen hängengeblieben und mit »Knirrknarr«-Geräuschen durch den Schnee gelaufen — daher der Name »Kurden«.

Für Elmar Altvater, Professor der politischen Ökonomie, zeigt die »kurdische Tragödie« die Notwendigkeit, das Völkerrecht zu verändern. Es sei ein »zwischenstaatliches Recht«, das »nur die äußere, aber nicht die innere Souveränität der Staaten regelt, obwohl die Völker doch eigentlich die Souveräne sein sollten«. Die UNO kenne also keine Völker. Ob nun bei den Kurden, den Tibetern oder den Amazonas-Indianern — »die Rechte der Völker auf Authentizität, Identität und ökologische Unversehrtheit ihrer Gebiete sind nirgends kodifiziert«, während das bestehende Völkerrecht »gegen die Rechte der Völker in und zwischen den Staaten gerichtet« sei. Sein pessimistisches Fazit: Hier ausgerechnet von den internationalen Machthabern eine Änderung zu erwarten, hieße, »den Bock zum Gärtner zu machen«.

Warum nun auch in der Friedensbewegung ein »weitgehender Ausfall von Solidarität und Engagement« gegenüber den Kurden zu beobachten sei, fragte der Friedensforscher Uli Albrecht in das auch bloß halb gefüllte Audimax hinein. Doch auch er vermochte keine befriedigende analytische Antwort zu finden. Schnell brach er dann auf, um »Projekttage in den Schulen« zu eben jenem Thema vorzubereiten.

Was also kann der verbleibende Rest von Engagierteren überhaupt noch tun? »Einen Tagesverdienst für Kurdistan auf das Konto von Medico International spenden und gegen die Abschiebung von Kurden demonstrieren«, schlug ein Vertreter der Fachschaft Medizin vor. Das war und blieb der konkreteste Vorschlag. Die ausschließlich männlichen Vertreter des Sektenwesens, die sich anschließend vor dem Saalmikrophon reihten, überboten sich lieber in der Entlarvung der Schuldigen — ein Schauspiel, das jede Saison aufs neue sein Publikum inklusive der Berichterstatterin aus dem Saal treibt. Ute Scheub