Die Handelskammer findet Berlin super

■ IHK distanziert sich von Krisenanalyse des Daimler-Chefs Reuter/ Noch wirtschaftsfreundlichere Politik gefordert/ Baubranche wird stabiler

Berlin. Miesmacherei ist nicht die Sache der Industrie- und Handelskammer zu Berlin (IHK). Berlin ist für sie eine »dynamische Region im Aufbruch«, die Hauptstadt stünde vor einer »großen Zukunft«, habe »vielfältige Entwicklungschancen«, heißt es im gestern vorgelegten Jahresbericht 1990/91 der IHK. Eine »Krisenregion«, so wie es der Daimler-Chef Edzard Reuter kürzlich vor internationaler Prominenz während des Stadtforums erklärte, sei die Stadt nicht, meinte IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Hertz. Denn Berlin hätte den Anschluß an neue Märkte nicht verloren, könne gar Prototyp einer Zukunftsregion werden.

Allerdings müsse diese Zukunft durch politisch wirtschaftsfreundliche Entscheidungen vorbereitet und die ungünstigen Lebens- und Arbeitsbedingungen in Ost-Berlin mittelfristig auf Westberliner Niveau gehoben werden. Nicht der Mangel an Initiative, Leistungsbereitschaft und Verantwortungswillen in Ost- Berlin seien für die tiefgreifenden Unterschiede verantwortlich, sondern die extrem unterschiedlichen Startbedingungen nach der Wiedervereinigung. In West-Berlin boomte es, die Ostwirtschaft geriet ins Strudeln. Eine Krise, sagte Hertz, wird es geben, wenn die Berliner sich nicht von der »Grundstimmung des umfassenden Aufbruchs« tragen lassen, eine Krise kann es geben, wenn die Westberliner »wehleidig« oder in »grämlicher Trauer« den Subventionen hinterherweinen.

Die IHK fordert von den Politikern eine »Entbürokratisierungsoffensive«, um Investitionen in der Stadt zu erleichtern. Die Verwaltungsentscheidungen, sei es im Wohnungsbau oder im öffentlichen Infrastrukturbereich, müßten beschleunigt, die gesetzlichen Vorschriften vereinfacht werden. Die Wirtschaftsfreundlichkeit müsse zu einer Maxime des Verwaltungshandeln werden. Der Senat dürfe auch bei den Mieten nicht »Überhitzungen und Verwerfungen« mitmachen. Als Negativbeispiel nannte die IHK, daß ein Reinickendorfer Unternehmen bisher einen Erbbauzins in Höhe von 227.000 Mark zahlte, nun aber 2,7 Millionen Mark entrichten soll.

Als Haupthindernis für Investitionsvorhaben im Osten nannte die IHK die ungeklärten rechtlichen Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Tätigkeiten, die Engpässe in der Telekommunikation und die mangelnden Verkehrswege von und nach Berlin. Der Tiefpunkt in der Ostberliner Industrie könnte aber erreicht sein, in der Bauwirtschaft zeichne sich schon eine »gewisse Stabilisierung auf niedrigem Niveau« ab. Der schwierige »Anpassungsprozeß« zeige sich besonders schmerzhaft beim Abbau der Arbeitsplätze. Nach Schätzungen des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung würde 1991 die Hälfte der in der Industrie Beschäftigten ihre Stelle verlieren. Ein großes Problem sei besonders die zunehmende Erwerbslosigkeit von Frauen. In Ost-Berlin verdienen sie bis zu 40 Prozent des Familieneinkommens, im Westteil hingegen nur 18 Prozent. Die IHK will inner- und außerbetriebliche Qualifizierung sowie die Sicherung von Ausbildungsplätzen intensivieren. aku