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Mixed Pickles fürs Ohr

Nur wenige Highlights im Hörfunkwettbewerb der Prix Futura Berlin  ■ Von Gaby Hartel

Ein wenig blaß sind sie schon alle. Die angestrengt Lauschenden, deren konzentrierte Züge unschwer den Ernst der Lage verraten: Hier wird über Kunst geurteilt! Nur in den kurzen Pausen löst sich mal einer aus der gebeugten Menge, um sich geistesabwesend und möglichst ohne zu zittern eine Tasse Kaffee zu besorgen. Dann kehrt wieder Ruhe ein. Die Arbeit kann weitergehen.

Mitternacht senkt sich über die Nachtschicht der Radiophilen. So hoch sei die Anzahl der eingereichten Beiträge zum Prix Futura gewesen, daß man der Flut nur in Schichtarbeit habe Herr werden können. Wettbewerbschef Leo Braun machte zusammen mit der Co-Organisatorin Susanne Hoffmann bei der Eröffnungsfeier den Gästen Mut. Hatte der Prix auch unter dem Motto „Wandel“, „Change“, das Rennen angetreten, so fiel er dennoch jenem sich nie wandelnden Fehler eines themenlastigen Wettbewerbs zum Opfer, den ein englischer Kollege bitter kommentierte: „They should have looked for a good play, not for a play about change!“ So wurden denn auch vereinzelt Stimmen nach schärferen Auswahlkriterien laut, vor allem in der Kategorie „Newcomers“. Natürlich gibt es sie nach wie vor, die „jungen Talente“, doch da sie eher in freier Wildbahn als in der Nähe von Institutionen zu entdecken sind, sollte die Suche mit weniger betriebsinterner Politik und mehr mutiger Kompetenz vonstatten gehen.

So etwa stellt sich Eran Baniel die Sache in Zukunft vor. Als Koordinator der Sparte „BBC-Newcomers“ wußte er, wovon er sprach. Denn gerade hinter jener eigentlich vielversprechenden neuen Rubrik des Prix Futura verbarg sich dann doch nur ein repräsentatives Panorama der internationalen Programmlandschaft selbst. Ein bißchen von allem zog einem da am Ohr vorbei, und nur in den lobenswerten Ausnahmen zeigte sich jene glückliche Verbindung aus talentierter AutorInnenschaft, Beziehung zu den Produktionsanstalten und kritischem Blick der verantwortlichen RedakteurIn, die einen echten „shooting star“ ausmacht.

So gab es etwa literarische Gewaltakte wie etwa Flaubert: Anthony von Nils Gredeby. Ein Stückwerk in postmoderner Manier zur Versuchung des heiligen Antonius. Zwölf Bilder lang beschwört ein Schwede mit preziös-symbolistischen Wortlisten die Schätze, Lüste und Genüsse des Orients. Ein allumspannender Touch wird vom Autohupen und Ethnorhythmen signalisiert. Doch das versuchte Welttheater gerät zum Flohmarkt der Kulturen, in dem vor allem eines in Erscheinung tritt: die Präsenz des ehrgeizigen Autors hinter seinem Text.

Es gab noch weitere Varianten des offiziellen Typus „Newcomer“. Dick Dave zum Beispiel, ein fahrender Barde, von der BBC entdeckt. Er lebt und schreibt in einem Wohnmobil „somewhere near Hull“. Dave wagte sich, wie viele „Junge“, zunächst auf zwar gesichertes, doch immerhin „experimentelles“ Terrain, um dann zum Schluß doch vor dem Geschlossenheitsdiktat zu kapitulieren. Dabei beginnt sein Hörspiel A Pig's Whisper ganz formvollendet — englisch. Grotesk, skurril, mit surrealistischen Bildern durchzogen und schwarzem Humor versetzt — kurzum, nicht weit entfernt von Peter Greeneway. Um die Eingangsszene „When I was born/ a pig was born/ that didn't have an asshole“, verschieben sich die Wahrnehmungsgrenzen der Frauenstimme. Dieser Effekt von Turbulenz überträgt sich zunächst angenehm verwirrend auf den Hörer. Doch dann ordnet Dave das kreative Durcheinander zu einem trivialen Finale.

Viel interessanter geht Suzan- Lori Parks mit dem Thema „Bewußtseinswandel“ um. Ihr Hörspielerstling Pickling ist der künstlerische Monolog einer modernen Orphelia. Doch ihr Geschäft ist nicht der Selbstmord aus Trauer. Während die amerikanische Vorstadtwelt der „Miss Miss“ auseinanderfällt, rettet sie ihre Lieben durch daily horror à la David Lynch: Aus Verlustangst weckt sie ihre Geliebten ein: Mixed Pickles, ein wenig Mutter, ein wenig Charles. Dabei kaut sie auf Worten, singt und kichert — ein gruseliges Hörvergnügen. Doch dieses Werk war für die Jury wohl nicht „engagiert“ genug.

Fingertips machte das Rennen im „Newcomers Award“. Die Produktion ist sicher kein Geniestreich, zeigt sie doch mit recht konventionellen Mitteln das absurde Verhör eines mutmaßlichen IRA-Terroristen. Als Tribut fürs Experiment ging eine lobende Erwähnung an Euroanthem (Eurohymne), einem zehnminütigen Sprachenpotpourri, bestehend aus regionalen Klischees.

Wie ist es zu verstehen, daß originelle Hörspiele wie Mad Bad völlig unbeachtet ausgingen? Hier kriegt der Hörer doch ein zeitgemäßes Angebot: einmal im Leben „Wanze“ sein, die Abhörorgien mitfeiern dürfen, eben „Mäuschen spielen“. Dort, wo diese Praxis bis vor kurzem auf der Tagesordnung stand, geht man in Sachen Kunst auf Nummer Sicher: Kafka ist Vater vieler Produktionen. Man könnte diese osteuropäische Gattung „absurdes Dokumentartheater“ nennen, doch leider wird in diesen Arbeiten oft nicht mehr geboten als solides Handwerk.

Vielleicht gingen als geheime Sieger kollektiv die Dokumentaristen aus der Runde. Denn ein Fazit jener Radionachtschicht war doch die geknickte Einsicht: Kunst will halt immer noch gekonnt und nicht nur gewollt sein.

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