Broder/Geisel

■ Betr.: "Gib einem Faschisten eine zweite Chance - er wird sie nutzen", taz vom 18.4.91

betr.: „Gib einem Faschisten eine zweite Chance — er wird sie nutzen“, taz vom 18.4.91

Bei der Lektüre des Artikels gewinnt man den Eindruck, daß es den Autoren weniger um die verzweifelte Lage der Kurden geht, als vielmehr darum, in der von Broder inzwischen sattsam bekannten Manier auf alles einzudreschen, was die Politik der USA und Israels nicht unterstützt.

Anspruch auf besonders unter der Gürtellinie plazierte Schläge hat dabei Ernst Tugendhat. Die Autoren schrecken hier auch vor Verfälschungen der Wirklichkeit nicht zurück. Den USA für seine Rettung dankbar zu sein, beispielsweise, braucht Tugendhat insofern nicht, als er — nach Angaben der taz vom 29. Januar 1991 — schon 1941 nach Kolumbien fliehen konnte. Und selbst wenn er von ihnen vor den Nazis gerettet worden wäre: Ist das ein Grund, lebenslang die Politik aller US-Präsidenten gutzuheißen? Wie absurd! Es drängt sich vielmehr die Vermutung auf, daß Tugendhats „Hauptverbrechen“ in den Augen der Autoren darin besteht, daß er, obwohl jüdischer Herkunft, es wagt, die Politik der USA und Israels zu kritisieren. Ein „Masochist“ also, wie Broder seinerzeit Erich Fried apostrophierte, oder schlimmer noch ein „Renegat“?

Das allerdings auch Eike Geisel, dessen Buch über das ehemals (furchtbares Wort in diesem Zusammenhang!) jüdische Scheunenviertel in Berlin zu den klügsten und beeindruckendsten Analysen der Zeitgeschichte gehört, sich neuerdings auf derartige Polemiken einläßt, ist mir unverständlich.

Frage indes an die Autoren: Glauben sie wirklich, mit solchen Methodem latenten Antisemitismus entgegenzutreten oder Verständnis für die Lage Israels wecken zu können (falls das überhaupt noch ihr Ziel ist)?

Frage an die taz: Sollten derart unqualifizierte Rundumschläge in Zukunft nicht lieber unter der Rubrik „Dokumentation“ als auf der Debattenseite erscheinen? [...] Andreas Unger, (West)Berlin