Wie eine Restauratorin

■ Ein Gespräch mit Vanessa Redgrave

Vanessa Redgrave gilt als eine der „besten englischsprachigen Schauspielrinnen“ ('Times‘). Bekannt wurde sie durch Antonionis Klassiker „Blow Up“, für ihre Nebenrolle in Zinnemanns „Julia“ erhielt sie 1977 den Oscar. In Simon Callows Verfilmung der Carson McCullers-Novelle „Die Ballade vom traurigen Café“ spielt sie die verhärmte Amelia.

Christine Deggau: Auch Sie gehören zu denen, die in der letzten Zeit vor allem fürs Fernsehen und weniger fürs Kino gearbeitet haben. Woran liegt das?

Vanessa Redgrave: Ich will nicht behaupten, daß es beim Fernsehen die besseren Rollen gibt, in jedem Fall aber gibt es mehr Angebote. Sehen Sie sich doch einmal die Situation der Regisseure an! Pasolini und de Sica sind tot und die anderen? Die bekommen kein Geld mehr, ihre Themen interessieren die Produzenten nicht. Ich weiß von Fred Zinnemann, daß er einen Film machen will, einen über die britische Regierung. Er findet niemanden, der bereit ist, in das Projekt zu investieren. Und wenn einer wie Zinnemann kein Geld mehr bekommt, das sagt doch alles! Es ist ein verheerender Zustand. Die Zukunft kann kaum schlimmer werden.

Wie schätzen Sie unter diesem Aspekt die Situation der neuen Generation von Filmschaffenden ein?

Ich bin der festen Überzeugung, daß es viele gibt, die bereit und fähig sind, Außerordentliches zu leisten. Aber man gibt ihnen ja keine Chance, Zinnemann hat wenigstens einen Namen — die jungen Leute haben keinen Namen und kein Geld.

Seit über 50 Jahren atmen Sie Theaterluft — gefällt Ihnen Ihr Beruf nicht oder hat sich da so etwas wie Routine eingeschlichen?

Nein, nichts, was ich tue, geschieht aus Routine. Mir gefällt mein Job und ich versuche, ihn so professionell wie möglich auszuführen. Wissen Sie, die jeweilige Rolle, die man als Schauspieler zu spielen hat, ist wie ein altes Haus. Meine Aufgabe ist in dem Fall die einer Restauratorin: Ich brauche eine Vision, um mir das Haus so vorstellen zu können, wie es einmal war. Andererseits ist es auch schwere körperliche Arbeit. Wie die Restauratorin Steine schleppen muß, um dem Haus seine ursprüngliche Gestalt wiederzugeben, muß man als Schauspielerin alle körperliche Kraft investieren.

Und Sie glauben an Ihren Beruf?

Oft kommen junge Schauspieler zu mir und sagen, wenn sie mich auf der Bühne sehen, würden sie den Glauben ans Theater wiedergwinnen. Das ist ein Gefühl, das ich selbst kenne: neulich habe ich in London eine Inszenierung von Peter Stein gesehen. Danach wußte ich wieder, wofür ich als Schauspielerin lebe.

Wenn man über Sie liest, begegnet man immer wieder dem Stereotyp der PLO-Freundin, der politischen Aktivistin. Steht Ihnen das manchmal im Wege?

Ich muß Sie enttäuschen. Ich antworte niemals auf politische Fragen, die im Zusammenhang mit meiner Arbeit als Schauspielerin stehen. Das Gespräch führte

Christine Deggau