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Selbstbedienung statt Selbsthilfe

Privatisierung durch Veruntreuung — Warum die Genossenschaftsreform in Polen scheitern mußte  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Als das polnische Parlament 1990 das neue Genossenschaftsgesetz verabschiedete, ging ein Sturm der Entrüstung durch den Obersten Genossenschaftsrat. Kazimierz Barcikowski, Präses des Rats und abgehalfter Parteifunktionär, trat zurück, und die Parteipresse schrieb entrüstet von der geplanten „Enteignung der einfachen Genossenschafter“. Seither ist mehr als ein Jahr vergangen, und nun steht fest, daß die einfachen GenossenschafterInnen tatsächlich enteignet wurden: Aber nicht von Parlament und Regierung, sondern von ihren eigenen Chefs.

Ermittlungen des Obersten Rechnungshofs lassen keine Zweifel offen: Die Reform der Genossenschaften wurde von deren Bürokratie dazu genutzt, sich selbst zu bereichern und sich das Vermögen der „einfachen Genossenschafter“ schlichtweg unter den eigenen Nagel zu reißen. Besonders schlimm muß die Vetternwirtschaft bei der Bauernselbsthilfe gewesen sein. Der Genossenschaftsveband wird seinen blumigen Namen wohl bald in „Bonzenselbsthilfe“ ändern müssen, sollte zum Umtaufen überhaupt noch etwas übriggeblieben sein.

Nur in weniger als einem Drittel aller im Dachverband Bauernselbsthilfe vereinigten Genossenschaften seien die Vermögensverwalter mit dem Vermögen vorschriftsgemäß umgegangen. Ansonsten verteilten die Liquidatoren das Genossenschaftsvermögen so ziemlich an alle und jeden — sich selbst natürlich eingeschlossen.

Als das neue Genossenschaftsgesetz verabschiedete, wollte das Parlament vor allem die Strukturen in der Landwirtschaft dezentralisieren. Jede Branchengenossenschaft vor Ort war bis dahin einer Wojewodschaftszentrale untergeordnet, die 49 Wojewodschaftszentralen wiederum unterstanden einer Warschauer Zentrale. Der hierarchische Aufbau verhinderte einerseits tatsächlichen Wettbewerb und ermöglichte andererseits den Aufbau einer gigantischen Verwaltungsbürokratie. Das neue Gesetz sah daher die Auflösung der Zentralen und die Übereignung von deren Vermögen an die Mitgliedsgenossenschaften vor.

Doch die Chefs der Genossenschaftszentralen hatten wenig Interesse an einer schnellen Auflösung. So zögerten sie entsprechende Beschlüsse monatelang hinaus und gingen dann daran, das Vermögen nach Gutdünken zu verteilen. Dem Gesetz zufolge durfte das Zentralvermögen nur an Mitglieds- oder neu gegründete Belegschaftsgenossenschaften abgegeben werden. Auf keinem Fall sollten aber neue Monopolstrukturen entstehen, die zuvor bis zur Unerträglich für die Erstarrung im Agrarbereich gesorgt hatte. Die Liquidatoren jedoch, von denen die meisten vorher Apparatschiks der Zentralen gewesen waren, umgingen das Gesetz geschickt.

Noch bevor es in Kraft getreten war, hatten 289 landwirtschaftliche Genossenschaften aus dem ganzen Land in Warschau eine neue Zentrale in der Rechtsform einer Handelskammer gegründet, in Lodz landete der Besitz der Wojewodschaftszentrale bei zwei Aktiengesellschaften. Der Grund: Die neuen Strukturen fielen nicht unter das Genossenschaftsgesetz und konnten so auch nicht mehr aufgelöst werden.

In vielen Fällen wurde das Vermögen aber auch ohne vorherige Bewertung und fast umsonst Kapitalgesellschaften übereignet, an denen zufällig die bisherige Genossenschaftsbonzen selbst Anteile hielten. So legte der Syndikus der Molkereigenossenschaftszentrale fünf Betriebe in eine neu gegründete Aktiengesellschaft zusammen, in der er dann auch gleich das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden übernahm. Die Käsereien des Verbands sollten in eine andere Aktiengesellschaft verwandelt werden, die damit 75 Prozent der polnischen Käseproduktion kontrolliert hätte — an der Antimonopolbehörde vorbei. In mehr als der Hälfte aller Fälle wurde Vermögen der Molkereigenossenschaften verkauft oder verschenkt, ohne daß die zuständigen Gremien konsultiert und ohne daß die gesetzlich vorgesehene Ausschreibung vorgenommen worden wäre.

Ganze Betriebe wurden so einfach unter der Hand in eigene oder fremde Taschen „privatisiert“. Der Vermögensverwalter der Molkereizentrale plante gar die Vergabe von sechs Produktionsbetrieben an fünf überhaupt nicht existierende Aktiengesellschaften und eine nicht näher identifizierbare „caritative Institution“, obwohl sich zugleich mehrere nach dem Gesetz dazu berechtigte Genossenschaften um den Erwerb bemühten.

In insgesamt 40 Prozent aller vom Obersten Rechnungshof überprüften Fälle wurden so Veruntreuungen, Gesetzesbrüche und Mißwirtschaft aufgedeckt. „Nur in wenigen Genossenschaftseinheiten, vor allem bei Landwirtschaftszentralen ohne bedeutendere Produktionsbasis, kann der Verlauf des Auflösungsprozesses als zufriedenstellend angesehen werden“, schrieben die Prüfer in vorbildlichem Bürokratenpolnisch. Anders ausgedrückt: Vorschriftsgemäß wurde Vermögen nur da verwaltet, wo es fast nichts zu verwalten gab.

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