Warnung an die Opposition in China

■ Zwei chinesische Studenten in Geheimprozessen zu 15 und 7 Jahren Haft verurteilt/ Anklage: Die Studenten hätten im Frühjahr 1990 eine regierungsfeindliche Untergrundorganisation gebildet

Peking (dpa) — Unter strikter Geheimhaltung sind nach der rasch durchgezogenen Prozeßwelle gegen Teilnehmer der Demokratiebewegung in Peking weitere junge Dissidenten mit außergewöhnlich hohen Freiheitsstrafen ins Gefängnis geschickt worden. Wie chinesische Quellen in Peking bestätigten, wurde der 23jährige Student Chen Yanbin wegen „konterrevolutionärer“ Aktivitäten Anfang März zu 15 Jahren Haft verurteilt. Eine gleichhohe Freiheitsstrafe für politische Verbrechen hatte zuletzt 1979 Wei Jingsheng erhalten, der damals an der „Mauer der Demokratie“ Deng Xiaoping direkt kritisiert hatte und für demokratische Rechte in China eingetreten war.

In einem weiteren Verfahren vor dem Pekinger Volksgericht wurde gegen den Absolventen der Qinghua- Universität, den 24jährige Zhang Yafei, sieben Jahre Haft verhängt. Während sich das westliche Augenmerk vornehmlich auf das Schicksal der bekannteren Dissidenten der Tiananmen-Proteste von 1989 richtete, bei denen etwa Studentenführer Wang Dan „nur“ eine vierjährige Haftstrafe erhielt, will Chinas Führung mit entschlossener Härte im Stillen offenbar jeden Ansatz zu neuen oppositionellen Regungen im Untergrund im Keim ersticken.

Die Urteile gegen Chen und Zhang, die der „Anstachelung und Propaganda für Konterrevolution“ und der „Organisierung und Leitung einer konterrevolutionären Gruppe“ für schuldig befunden wurden, sind nicht publik gemacht worden. Eine zuständige Beamtin des Pekinger Volksgerichts, Fan Shumin, sagte auf Anfrage, sie sei über diese beiden Fälle nicht informiert und es gebe außerdem eine Regel, nach der Ausländer über interne chinesische Prozesse nicht unterrichtet werden müßten.

Chen Yanbin und Zhang Yafei wollten, so hieß es aus zuverlässiger chinesischer Quelle, ein Jahr nach dem Pekinger Massaker an die Opfer des blutigen Militäreinsatzes erinnern und die Ziele der Studentenbewegung wiederaufnehmen. Sie vervielfältigten im Frühjahr 1990 in der Provinz Hunan ein Pamphlet 'Tieliu‘ (Stahl-Ströme), das dann später in Peking verteilt wurde.

Die beiden Pekinger Studenten wurden ferner beschuldigt, sie hätten im Juni 1990 im Untergrund eine regierungsfeindliche Organisation „Revolutionäre-Demokratische Front für China“ gegründet. Zu den Organisationsprinzipien habe die Abschaffung der „Vier Grundprinzipien“ gehört, das heißt, die Beseitigung der kommunistischen Herrschaft und des Sozialismus. Chen und Zhang wurden am 24. September 1990 verhaftet und am 5. März dieses Jahres verurteilt. Zu den Prozessen wurden noch nicht einmal die engsten Verwandten zugelassen. Verwandte durften die im Hochsicherheitsgefängnis Qincheng Inhaftierten bisher auch nicht besuchen. Gegen mindestens zwei weitere Studenten, die ebenfalls an den Untergrundaktivitäten beteiligt waren, Zhang Donghui und Dao Bin, stehen die Urteile noch aus.

Offenbar sollen die drastischen Urteile vor allem vor neu auflebendem Widerstand abschrecken. Wie es von informierter chinesischer Seite hieß, erfolgte von politischer Stelle ausdrücklich die Anweisung an die Justizbehörden, diese Fälle „mit Strenge zu behandeln“. Gegenüber dem Ausland wird mit der versuchten Geheimhaltung, die für Prozesse gegen Arbeiter gilt, wohl beabsichtigt, schärfere Reaktionen zu verhindern, nachdem die Tian'anmen-Fälle gerade ohne größeren Flurschaden über die Bühne gebracht wurden. Chinas Ministerpräsident Li Peng hatte jüngst auf einer Pressekonferenz lächelnd darauf verwiesen, daß die Urteile gegen die Tian'anmen-Dissidenten selbst im Ausland als „milde“ eingestuft worden seien. Edgar Bauer