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Susanne Albrecht in Stammheim

Die Spätheimkehrerin aus der DDR muß sich für den Mord an ihrem „Onkel Jürgen“ verantworten Bundesanwaltschaft beharrt auf Kollektivitätsthese und beantragt Kornzeugenregelung  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) — „Zu Ponto und den Schüssen, die ihn jetzt in Oberursel trafen, sagen wir, daß uns nicht klar genug war, daß diese Typen, die in der Dritten Welt Kriege auslösen und Völker ausrotten, vor der Gewalt, wenn sie ihnen im eigenen Haus gegenübertritt, fassungslos stehen.“ Die kurze Erklärung nach der als Entführung geplanten Ermordung des Frankfurter Bankiers am 30. Juli 1977 war unterzeichnet von „Susanne Albrecht aus einem Kommando der RAF“. Es war das einzige Mal, daß der Klarname einer Beteiligten unter einem Bekennerschreiben der RAF erschien.

Susanne Albrecht, für die der mit ihrer Familie eng befreundete Ponto der „Onkel Jürgen“ war, erklärte dazu 13 Jahre später gegenüber der Bundesanwaltschaft, Brigitte Mohnhaupt habe das Papier unmittelbar nach dem Anschlag verfaßt. Sie, Albrecht, habe es „ohne Diskussion“ und ohne den „Inhalt zu lesen“ unterzeichnet. Susanne Albrecht fühlt sich mitverantwortlich für den Tod Pontos. Aber sie besteht darauf, daß sie ihn weder gewollt noch erwartet habe. Bevor sie im Haus der Familie Ponto die „Türöffnerin“ machte, entlud sie ihre Pistole. Nach der gescheiterten Entführung, mit der die Stammheimer Gefangenen freigepreßt werden sollten, habe sie nur noch beschäftigt, „wie ich aus dieser Gruppe wieder herauskomme, ohne von der Polizei festgenommen zu werden“. Und: „Ich wollte nicht für etwas lebenslänglich kriegen, was ich nicht gemacht habe.“

Daß an diesen Einlassungen etwas dran ist, steht außer Zweifel. Sie werden im Kern von anderen DDR- Spätheimkehrern und dem Gefangenen Peter-Jürgen Boock bestätigt. Susanne Albrecht war nach dem Anschlag, zu dem sie lange überredet werden mußte, psychisch am Ende. Daß sie später weitermachte, sogar an Kommandos beteiligt sein wollte, erklärt nicht nur sie selbst so: Um von der Gruppe akzeptiert, notfalls auch nur „mitgeschleppt“ zu werden, mußte man seine Bereitschaft zu Aktionen unter Beweis stellen. Das tat sie verbal, wohl wissend, daß die Gruppe eine direkte Beteiligung der unsicheren Kantonistin niemals akzeptieren würde. Sie sei „in der Hierarchie der RAF immer ganz unten gewesen“, betont die Angeklagte, die sich seit heute im Stammheimer Prozeßbunker wegen Mordes und mehrfachen Mordversuchs verantworten muß. Als „Depot-Tante“ habe sie sich tituliert, sagt DDR- Heimkehrer Henning Beer. Auf die Entscheidungen der Gruppe habe sie „sicher keinen Einfluß gehabt“.

Die Bundesanwaltschaft hat mit ihrer Klageschrift gegen Susanne Albrecht (und in dieser Woche gegen Beer) noch einmal unmißverständlich dokumentiert, daß sie trotz zahlloser gegenteiliger Aussagen der in der DDR festgenommenen AussteigerInnen an ihrer Konstruktion der kollektiven Entscheidungsfindung bei der RAF bedingungslos festzuhalten gedenkt. Ob Susanne Albrecht den Mord an Ponto wollte oder nicht, spielt keine Rolle. Ob sie mit den fehlgeschlagenen Anschlägen auf Nato-Oberbefehlshaber Haig (1979) oder die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe (1977) nur am Rande zu tun hatte, auch nicht. Entscheidend für eine Verurteilung ist nach der „Kollektivitätsthese“ ausschließlich die Mitgliedschaft in der Gruppe.

Susanne Albrechts Aussagebereitschaft nach ihrer Festnahme in der DDR ist auf mehrere hundert Seiten umfassenden Vernehmungsprotokollen hinlänglich dokumentiert. Als erste der AussteigerInnen hat sie, nach der schnellen Rückkehr in die Arme ihrer Familie, die Anwendung der Kronzeugenregelung offen für sich reklamiert. Ob diese Ankündigung es war, die andere in eine Art Aussage-Wettlauf zwang, läßt sich im nachhinein schwer nachvollziehen. Jedenfalls war es im Sommer 1990 nicht mehr möglich, Susanne Albrecht in eine Art gemeinsame Aussagestrategie einzubinden, die eventuell allen genützt und niemanden zusätzlich zu den eigenen Aussagen belastet hätte.

Ohne die Kronzeugenregelung wäre der Stammheimer Angeklagten das „lebenslänglich“ so sicher wie den meisten ihrer VorgängerInnen. Inwieweit der „Neuigkeitswert“ ihrer Aussagen ausreicht, das Strafmaß für die seit über zehn Jahren „resozialisierte“ Gefangene erträglich zu machen, entscheidet das Gericht. Daß Generalbundesanwalt von Stahl ein Urteil „mit Augenmaß“ will, ist bekannt. Daß das auch schief gehen kann, zeigt der Fall des Werner Lotze, den das bayerische Oberste Landesgericht im Januar zu zwölf Jahren verurteilte — trotz Anwendung der Kronzeugenregelung.

Schließlich beobachten auch Genossen von einst aus ihren Zellen genau, was mit ihren desertierten früheren Freunden passiert. Helmut Pohl beispielsweise möchte in den Prozessen am liebsten als „Nebenkläger“ gegen die Anwendung des Kronzeugengesetzes auftreten. „Ich habe keinen Bullen bei der Konfrontation erschossen (wie Lotze, Red.), ich habe auch meinen Patenonkel nicht getötet (wie Albrecht, Red.). Bei den Aktionen, an denen ich beteiligt war, hat es überhaupt keinen Toten gegeben“, schrieb Pohl kürzlich. Deshalb sehe er auch nicht ein, warum die „nach ein paar Anstandsjährchen wieder draußen sind und ich ewig im Knast sitze“.

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