Regionale Fäden über die Oder

Deutsch-polnische Regierungskommission für regionale und grenznahe Zusammenarbeit traf sich an der Neiße/ Es geht nicht um Großprojekte, aber um europaweite Vernetzung der grenzüberschreitenden Aktivitäten/ Nächstes Treffen in Szczeczin  ■ Aus Görlitz Detlev Krell

Görlitz (taz) — „Wer über die deutsch-polnische Grenze geht, der soll sie gar nicht als Grenze spüren.“ Das wünschte der polnische Staatssekretär Karol Szware zum Abschluß der Görlitzer Gespräche der deutsch-polnischen Regierungskommission für regionale und grenznahe Zusammenarbeit. Die bei ihrem Novembertreffen in Frankfurt/ Oder von Bundeskanzler Kohl und Ministerpräsident Mazowiecki initiierte Kommission trat in der ostsächsischen Grenzstadt erstmals zusammen und bildete Ausschüsse für Fragen im grenznahen Bereich und für interregionale Fragen. Botschafter Heinrich Dieckmann verglich die Aufgabe dieser Ausschüsse mit einem „Weberschiffchen“, das die vielen Fäden kooperativer Zusammenarbeit zu einem „Gesamtmuster“ vernetze. Die Kommission wolle nicht zentralistisch dirigieren, sondern einen Rahmen schaffen, der Zusammenarbeit, vor allem zwischen den Ländern und Wojewodschaften fördert. Für die europäische Perspektive der regionalen und grenznahen Kontakte spreche die Teilnahme einer Vertreterin der EG- Kommission.

Keine spektakulären Großprojekte, sondern vielfältige, regional wirksame Aufgaben habe das zweitägige Treffen ins deutsch-polnische Arbeitsprogramm geschrieben. Die Grenzregionen beider Länder befinden sich in einem tiefgreifenden, wirtschaftlichen Strukturwandel. Nützlich wäre deshalb, so Dieckmann, eine Partnerschaft bei der Förderung eines gesunden Mittelstandes, bei der Ausbildung von Managern und Handwerkern. Auch an Joint Ventures sowie an lokale und regionale Wirtschaftsvereinigungen ist gedacht. Auf dem zwischen den Delegationen vereinbarten Programm stehen weiter der Ausbau und die Modernisierung der Grenzübergänge. So will die Kommission dafür eintreten, die Formalitäten beim Passieren zu entkrampfen. Weitere Fäden der Zusammenarbeit will die Kommission im Umweltschutz, beim Tourismus, in der Binnenschiffahrt und bei der Nutzung des Szczecziner Hafens, in der Landschaftspflege, im Sport, aber auch im sozialen Bereich knüpfen. Staatssekretär Karol Szwarc faßte die Gespräche als einen Beitrag zur Beseitigung von bürokratischen Hemmnissen zwischen den Ländern zusammen. Es gebe immer noch zuviel Altes, obwohl Neues entstehe, beschrieb er die beim nächsten Treffen in Szczeczin weiter zu erörternde Situation. Eine gemeinsame Informationseinrichtung solle das Wissen über den Anderen befördern. Vor zwei Monaten bereits seien die Gespräche zwischen den Co-Vorsitzenden der Kommission aufgenommen worden. In dieser Zeit besuchten die Delegationen auch das Saargebiet um, so Dieckmann, dort an einem weitentwickelten Beispiel zu erleben, wie regionale Zusammenarbeit im Westen funktioniere. Wie die westlichen Vorbilder sei die deutsch-polnische Kommission aufgebaut worden mit dem Unterschied, daß daran auch Bundesländer und Wojewodschaften beteiligt seien, die nicht in Grenznähe liegen.

Dem gemeinsamen Wunsch nach einer „Annäherung über Brücken der Zusammenarbeit“ förderlich sei nach Meinung der beiden Delegationsleiter, daß die Länder und Kommunen bereits eigene Initiativen ergriffen haben. So bauen Nordböhmen, Ostsachsen und Schlesien eine trilaterale Kommission für die Zusammenarbeit im Dreiländereck auf. Der Oberbürgermeister von Görlitz Matthias Lechner informierte, daß in der noch zerstörten Synagoge ein europäisches Informationszentrum eingerichtet werden soll. Dort können sich europäische Verbände und Institutionenen vorstellen. Görlitz und Zgorzelec haben während des Treffens eine Städtepartnerschaft vereinbart. Nach den jüngsten Provokationen an der Grenze befragt, erklärte Botschafter Dieckmann gegenüber der taz, daß auch darüber gesprochen worden sei. Derlei Zwischenfälle wären die Ausnahmen im Zusammenleben der beiden Völker, und gerade die regionale, kulturelle und wirtschaftliche Zusammenarbeit sei geeignet, diesen Extremismus zu überwinden.