Disput zwischen Güttern, Götzen und Realem

■ Kommilitonen vor Publikum zur Finissage von "DIN-Ikonen" in der Brotfabrik

Die Götter unserer Welt wollen angebetet werden, das war vor 2000 Jahren so und daran hat sich bis heute nichts geändert. An sich wäre das nicht weiter problematisch, würde es sich mit den Göttern nichts so verhalten, wie mit des Kaisers neuen Kleidern: man sieht sie einfach nicht, so sehr man sich auch anstrengt. Nichts zu machen. Rettender Ausweg aus diesem agnostischen Dilemma war die Schaffung von Heiligenbildern. Endlich hatte man etwas, was man anfassen und vor dem man niederknieen konnte.

Wie die Glaubensbekenntnisse unserer heutigen, ach so aufgeklärten Gesellschaft aussehen, daran hat sich das Photoforum »Schwarzbunt« der Bielefelder Schule für Photodesign zu schaffen gemacht. Ausgangspunkt war ein Treffen mit Leipziger Kollegen im November des letzten Jahres, bei dem die Kluft zwischen ost- und westdeutschen Lebensverhältnissen auch im künstlerischen Bereich zutage trat.

In der von den Ostphotographen propagierten konservativ-dokumentarischen Arbeitsweise zur Darstellung von »Wirklichkeiten im Bild« sahen die Schwarzbuntschüler jedenfalls keine ausreichende Möglichkeit, das auszudrücken, was das Mediengeflimmer im Westen bewirkt. Zu sehr hätten sich hier durch die visuelle Überflutung die einzelnen Bilder verselbstständigt. Das Bild von der Realität sei selbst zur Realität geworden.

In Konsequenz folgerten die Bielefelder Schüler daraus, das Abbild selbst zum Objekt des Photographierens zu machen. L‘art pour l'art monierten da die Kollegen aus Leipzig. Den Gegensatz versuchen nun wiederum die Bielefelder seit Anfang des Monats in der Pankower Brotfabrik anzutreten. Doch die Rechnung geht nicht auf. Die Überladung durch die Bilderflut unseres Alltags ist so immanent, daß zwischen Kopie und Original kein Unterschied mehr gemacht wird. Ein Poster von van Goghs Sonnenblumen gilt eben als ein van Gogh, auch wenn es auf jedem Klo hängt.

Gerademal bei den Photographen von Plastikmodellen läßt sich noch eine eigene Wirkung der Arbeitsweise erkennen: das Reproduzieren resultiert in die Aussagelosigkeit. Nicht zuletzt auch deshalb, weil das Anprangern von Klischees wie des Spießerlebens der typisch deutschen Kleinfamilie längst keine Tabus mehr bricht.

Und genau daran mangelt es dem ganzen Experiment. Zu sehr hat man sich auf die Arbeitstechnik konzentriert, zu oft hat man Schattenboxen trainiert mit lange erledigten Klischees, zu wenig hat man sich um das Demaskieren der heutigen Heiligtümer gekümmert, so wie es der Name der Ausstellung eigentlich versprach: »DIN-Ikonen«, angebetete Wirklichkeiten, verehrte Objektwelten, wertvolle Lebensstandardisierungen. Dabei hatte man mit der Darstellung des Banalen durchaus die Möglichkeit gehabt, die Religion unserer Pubertätsgesellschaft bloßzustellen, das Credo der Hyperaktivität, das Vaterunser der dauerorgastischen Lebensbegeisterung. So bleibt das Ganze jedoch viel zu allgemeingültig und harmlos.

Ob sich die Kommilitonen von der Leipziger Graphikhochschule durch die Ausstellung überzeugen ließen, wird sich bei der Finissage zeigen. Dann werden Bielefelder nochmal ausführlich zu ihren Arbeiten Stellung nehmen und dabei gleichzeitig das Ausbildungskonzept ihrer Schule vorstellen. Andreas B. Hewel

Sa und So noch in der Brotfabrik Heinersdorfer Straße 58, 1120, 15-20 Uhr, Finissage am So 20 Uhr mit Vorträgen und Diskussionen der Graphikschüler aus Bielefeld und Leipzig