Kabuki-Theater entdeckt Shakespeare

■ Das klassische japanische Theater trifft auf König Lear — Kitsch oder gelungene Adaption?

König Lear, aber welche Tochter?

Mit bleiweiß gefärbten Gesichtern, geschwärzten Zähnen um die »Grabsteine des Mundes« zuverbergen; in langen ritualisierten Gewändern, exakter, choreographischer Fußtechnik und stilisierten Bewegungsabläufen mit wenig Platz für die Mimesis des europäischen Theaters, so tritt uns Kabuki, das klassische japanische Bühnentheater gegenüber.

Kabuki ist voll von Artistik und fabelhaften Kostümen, kennt Drehbühne und Versenkung seit Jahrhunderten, ist Volkstheater und starre Maske zugleich. Im Kabuki spielen nur Männer.

Die moderne japanische Kabuki-Truppe Super Ichiza hat mit Shakespeare einen Weltdramatiker westlicher Hemisphäre in die Exotik buddhistischer Bühnentradition geholt. König Lear, die Geschichte vom Versuch, Königswürde ohne Königsbürde zu bewahren, wird dem an den Rhythmus elisabethianischen Dramas gewöhnten Zuschauer in seiner japanisierten Form mit einer nur schwer zu verstehenden Ästhetik konfrontieren. Mag man den weißhaarigen gravitätischen Alten noch als König Lear erkennen wollen, so stellt die Unterscheidung der drei Töchter des Königs - Cordelia, Regan und Goneril - von denen wenigstens eine »a light haired maiden« ist, den Betrachter soviel blauschwarzer, orientalischer Haarpracht vor schier unlösbare Schwierigkeiten. Aus solch scheinbar Nebensächlichem ergibt sich aber wohl für Darsteller als auch für Zuschauer eine ungeahnte Neuzahl von Interpretationen. Shakespeare wird so nicht nur fernöstlich drapiert, sondern auch neu entdeckt.

Der für den europäischen Betrachter wiewohl reizvolle so dennoch eher mühsam zu entziffernde japanische Shakespeare wird, jenem europäischen Ohr gefällig, mit Sythesizer-Rock begleitet, der allerdings mehr langweilig als passend ist. Stilbruch sollte man nicht in dieser Mixtur entdecken; es ist lediglich farbenfrohes gegenseitiges Adaptieren an den Grenzen einer Form, die der Deutsche Kitsch zu nennen pflegt. Volker Handloik

So.-Mi. 20.00 in der Urania