“Noch fünf Mandanten in Sachsen“

■ AsylbewerberInnen flüchten von Sachsen nach Bremen / Interview mit dem Anwalt

taz: Wieviele Ihrer MandantInnen sind inzwischen wieder illegal in Bremen?

Hans-Werner Leinweber: Ich habe ca. 50 Zuweisungen nach Sachsen gehabt. Und ich schätze, daß vielleicht fünf Mandanten tatsächlich noch da sind. Das ist nicht nur bei mir so, auch bei Kollegen. Alles wehrt sich mit Händen und Füßen, in die neuen Bundesländer zugewiesen zu werden. Auch wenn man die Asylsuchenden darauf aufmerksam macht, daß das Asylverfahren dort wesentlich länger dauert, daß sie dort mehr Zeit haben, leben sie lieber illegal in der alten Bundesrepublik. Ich habe eine Mandantin, Mutter von zwei Kindern. Sie ist auf meinen Rat nach Sachsen gefahren, hat sich aufnehmen lassen, hat sich umgesehen und ist sofort wiederzurückgekehrt.

Und gestern berichtete ein Mandant, daß Skinheads ihn bedroht haben. Er hat Angst, in der Ex-DDR umgebracht zu werden. Der setzt da keinen Fuß mehr hin. Auch wenn man hier im Asylantenheim eingepfercht zu viert auf einem Zimmer lebt: Hier hat man noch einen westlichen Flair und westliche Eindrücke. Die Flucht aus Sachsen hat natürlich ihre Rückwirkungen. Wenn sie sich der Zuweisung nicht folgen und sich ein paar Wochen verdunkeln, ist die rechtliche Folge, daß der Gesetzgeber sagt: Der hat gar kein Anrecht auf Asyl. Denn er hat offenkundig keine Angst, wieder abgeschoben zu werden in sein Heimatland. Diese Rechtsfolge ist den Leuten gar nicht klar.

Also lieber drei Monate illegal in Bremen und dann nach einer Razzia abgeschoben werden als fünf Jahre in den neuen Bundesländern?

Die Menschen haben Angst. Ich möchte auch nicht als Frau mit zwei Kindern schutzlos in Sachsen leben müssen.

Siehen Sie einen Unterschied darin, ob die Leute aus Bayern oder aus Sachsen nach Bremen zurückkehren?

Nein. Die Gründe sind immer die gleichen. Sachsen ist nur ein zusätzliches Problem. Weil die Asylbewerber in den neuen Bundesländern eine sehr große Ausländerfeindlichkeit feststellen. Und im übrigen die sozialen Verhältnisse in den neuen Bundesländern grauenhaft sind. Hier steht natürlich eine Diskriminierung an. Weil eine Familie in der DDR, die Sozialhilfe bezieht, nicht unbedingt soviel besser gestellt ist, als jemand, der Sozialhilfe bezieht und aus Gambia kommt und den ganzen Tag rumliegt, weil er nicht arbeiten darf. Die DDR-Familien fragen sich natürlich: Warum bekommen wir dieses Geld nicht?

Was fordern Sie von der Politik?

Man müßte auf Zuweisung in die neuen Bundesländer verzichten: Erstens aus rein verwaltungsorganisatorischen Gründen, weil noch viel zu wenig vorbereitet ist.

Zweitens aus verwaltungstechnischen Folgegründen, weil überhaupt noch keine funktionierende Verwaltungsgerichtsbarkeit da ist und keine Sachbearbeitung möglich ist, für den Fall das Asylanträge abgelehnt werden und dann die Klagen kommen. Und deswegen werden sich natürlich langfristig die Fronten in den neuen Bundesländern verhärten. Wenn ich z.B. in einem kleinen Ort bei Zwickau lebe, wo 50 Gambier rumliegen. Wie aufgebracht sind die Leute erst in fünf Jahren, wenn die Gambier da immer noch sind. Denn die neuen Bundesbürger können überhaupt nicht übersehen, warum die Verfahren solange dauern. Der Haß wird immer größer.

Interview: Barbara Debus