Ohnmachtswelle in der Stadthalle

■ New Kids On The Block versetzten 8.000 Kids in Ekstase und 150 in die Bewußtlosigkeit

In der Stadthalle brach Mittwoch abend die Hölle los: NKOTB auf Europatournee. Was das Kürzel bedeutet, weiß jeder normale Mensch — sofern er zwischen sieben und 15 ist. Donnie, Danny, Joe, Jon und Jordan aus Boston, die New Kids On The Block eben, lösen derzeit eine Massenhysterie aus, wie seinerzeit die Beatles: ausverkaufte Konzerte, kreischende Fans, reihenweise ohnmächtige Kids.

So auch am Mittwoch beim restlos ausverkauften Konzert in der Stadthalle. Die Bilanz am Ende eines hysterischen Tages: Etwa 50 Ohnmächtige vor dem Konzert, und noch einmal rund 150 Kids, die während des Auftritts bewußtlos aus der Menge gezogen werden mußten.

Die Fans hatten zum Teil schon seit neun Uhr morgens Schlange gestanden. Im Laufe des Tages

hier bitte

das Foto

mit den kreischenden

Kids

wurde das Gedränge so dicht, daß es kein vor oder zurück mehr gab. Mit „New Kids, New Kids“-Rufen brachte sich die Menge immer mehr in Ekstase. Für zusätzliche Panik sorgten eine Gruppe von New Kids-Gegnern, die die Wartenden mit Eiern und Flaschen bewarfen. Einer von ihnen wurde festgenommen, die anderen von der Polizei am Eierwerfen gehindert. Als die Veranstalter um 17.00 Uhr die Türen öffneten, kam es zu Tumulten und Panik, die sich erst legten, als weitere Türen geöffnet wurden.

Roman Szemetat, beim örtlichen Veranstalter KPS für die Organisation des Konzertes verantwortlich, gab gestern zu, von dem Ausmaß des Trubels überrascht gewesen zu sein. Erste Berichte vom Konzert in Berlin, an dem es tags zuvor zu ähnlichen Szenen gekommen war, hatten KPS so

spät erreicht, daß an zusätzliche Maßnahmen nicht mehr zu denken war. Auch das Rote Kreuz wurde von der Situation überrascht. Der verantwortliche Einsatzleiter Adolf Finkener hatte bereits Feierabend gemacht, als er telefonisch über die Ohnmachtswelle vor der Halle informiert wurde. Kurzfristig wurden 10 Rettungssanitäter und drei Krankenwagen zur Verstärkung des Sanitätsdienstes zur Stadthalle beordert. Und die mußten während des Konzertes in der Spitzenzeit mehr als 100 Kids versorgen. Da es wegen der Baumaßnahmen bei der Halle derzeit keinen Sanitätsraum gibt, wurden die Ohnmächtigen auf der Baustelle vor der Halle versorgt.

In der Halle war zu diesem Zeitpunkt die Show in vollem Gange. Nachdem um 19.30 endlich die Lichter aus und die Spots angingen, löste frenetisches Gekreische die angestaute vorpubertäre Spannung. Wann immer Donnie, der Traum aller Mädchen, sein Hemd aufriß und seinen glatten Oberkörper nebst Schulter entblößte, steigerte sich das Kreischen orkanartig. In perfekter Choreographie rappten und hippten die „New Kids“ über die Bühne, eine Augenweide.

Die hoffnungslos übersteuerte Anlage ließ in der akustisch ohnehin problematischen Stadthalle nur noch einen Soundbrei am Ohr ankommen. Aber was machte das schon: die 8.000 Kids vor der Bühne kannten alle Songs auswendig und der geringste Wiedererkennungswert reichte zum Mitsingen.

Als Produzent und Songwriter Maurice Starr 1984 eine Formation zur Vermarktung seiner Teenysongs zusammenstellte, waren die fünf kids gerade zwischen 13 und 16 Jahre alt, damals getrimmt auf ein cleanes Sonnyboy-Image. Inzwischen wurden sie auf rauh gebürstet und posieren im durchgestylten Streetgang-Look: Leder, Schlabberjeans, Rapp-Kappen. Die KonsumentInnen zwischen sieben und 15 verlangen inzwischen härtere Kost, um sich von den Toodlers (Knirpsen) abzusetzen, deren Kaufkraft über die Kampfkröten Turtels abgeschöpft wird, vermutet eine Musikzeitung.

So sind nun also Donnie, Danny, Joe, Jon und Jordan seit der Veröffentlichung ihres neuen Albums step by step „Jungs von der Straße“, fahren Harley Davidson und rufen auch schon mal „fuck your parents“ ins Publikum. Aber bei aller erwachsenen Häme: ihre Botschaft kommt rüber. Wenn sie über die Bühne springen und rappen, ist das Power, Dynamik, Unbeschwertheit und ein unverschämt sicheres Körpergefühl.

Der neunjährige Junge, der sich eben noch in die Arme seiner Mutter gekuschelt hat, springt plötzlich auf den Gang, als der Rhythmus härter wird: Tuch nach Streetgangart um die Stirn geknotet, langes Schlabber-T-Shirt, schwenkt er im Stakkato die Hüften, reckt die Arme in die Höhe: „No more games!“ asp/hbk