„Wir müssen das Vertrauen der WählerInnen wiedergewinnen“

■ Antje Vollmer, Aufbruchfrau und eine der KanditaInnen für den Parteivorsitz, plädiert für eine Erneuerung der Grünen auf dem Parteitag in Neumünster

taz: Kurz nach den ersten Hochrechnungen bei den rheinland-pfälzischen Landtagswahlen bekundete Vorstandssprecherin Renate Damus ihre Freude über das „günstige Ergebnis für die Linken“, welches eine Absage an alle Versuche bedeute, von bewährten Grundsätzen grüner Politik abzugehen. Werden es die Grünen vom „Aufbruch“ und die Realos am Wochenende in Neumünster nun schwerer haben mit all ihren ehrgeizigen Projekten: Strukturreform, einen neuen Bundesvorstand, in dem die Linken die Minderheit bilden, drei SprecherInnen die aus Eurem Lager kommen usw.?

Antje Vollmer: Es ist doch unsinnig, Blitzergebnisse aus solchen Wahlergebnissen zu ziehen. Ich glaube, daß eine Partei in massiven Existenzängsten sich in ganz verschiedene, ganz extreme Richtungen entwickeln kann. Das rheinland-pfälzische Ergebnis könnte dies verhindern, indem es Druck und Nervosität aus der Partei rausnimmt. Ich kann das Votum der WählerInnen im Dezember aber nicht als einen Ausrutscher sehen, für den sich die WählerInnen nun Landtagswahl für Landtagswahl entschuldigen. Nach Rheinland- Pfalz wie auch davor wartet die ganze Republik höchst gespannt und mit angehaltenem Atem darauf, ob es die Grünen nun endlich schaffen. Sie wartet darauf, ob den Signalen der letzten Landesversammlungen ein ähnliches in Neumünster folgt. Oder ob der alte grüne Rythmus einsetzt, sprich, ob viele, wie schon so oft, meinen, auf der Bundesebene soll alles beim Alten bleiben. Ohne daß sich die Bundesebene strukturell ändert, wird auch die grüne Landesebene Stück für Stück zusammenbrechen.

Die strukturelle Reform auf Bundesebene — also der Beschluß, Amt und Mandat nicht mehr zu trennen, die Rotation abzuschaffen, Bundeshauptausschuß und Bundesarbeitsgemeinschaften so wie sie sind aufzulösen — bildet ja höchstens die Hälfte Eurer Vorhaben für Neumünster. Mindestens ebenso sehr geht es doch auch darum, den Bundesvorstand mehrheitlich mit ganz anderen Leuten, euren Leuten, zu besetzen.

Die Frage für Neumünster ist, ob die grünen Delegierten aus mehr als zehn Jahren eigenen Wahlverhaltens etwas gelernt haben. Bisher fanden sie es besonders weise, in den Bundesvorstand Leute zu wählen, die sich gegenseitig optimal kontrollieren. Das geht dieses Mal nicht. Wir sind in einer so schwierigen Situation, daß wir höchstens zehn Prozent unserer Kraft für Beziehungsarbeit aufbringen können. Mindestens neunzig Prozent sind nötig, um die Partei zu erneuern und das Vertrauen der verlorenen WählerInnen wiederzugewinnen.

Sprich, der kommende Bundesvorstand soll nicht mehr strömungsplural zusammengesetzt sein. Aufbruch und Realos müssen ihn bilden.

Ich sage nicht, daß keine Linken in den Vorstand sollen. Aber: bisher waren alle Vorstände links dominiert. Es geht mir darum, daß wir jetzt eine eben solche, ein faire Chance bekommen.

Hattet ihr die bei den früheren Wahlen nicht? Was war an denen unfair?

Über die Verantwortung der Delegierten wollte ich gerade reden. Zum Beispiel haben die vor einiger Zeit Verena Krieger, Ruth Hammerbacher und Ralph Fücks in ein SprechererInnengremium, also in einen Parteivorsitz gewählt. Jede und jeder dieser drei hätte in anderen Zusammensetzungen Ungewöhnliches leisten können. Wegen der durchgängigen, gegenseitigen Blockade vermochten sie dies nicht zu zeigen. Das ist nicht ihre Schuld, sondern die derjenigen, die sie gewählt haben. Und so etwas wird bei den Grünen nicht diskutiert. Überall sonst gilt die Regel, getreten wird von oben nach unten. Bei den Grünen scheint dies manchmal umgekehrt zu sein. Was ist daran besser? Was ich überdies unter fairer Chance verstehe: Als Ralph Fücks auf dem vorletzten Parteitag in Dortmund abgewählt und Christian Ströbele gewählt wurde, haben Grüne aus dem Aufbruch/ Realo-Spektrum ihre Kandidatur für die Beisitzerposten zurückgezogen. Laßt Ströbele erst mal reibungsfrei arbeiten, so hat das etwa Peter Sellin begründet. Nichts anderes wünschen wir uns diesmal in Neumünster von der anderen Seite.

Damit die Delegierten sich diesmal nicht wieder einen Vorstandsvorsitz zusammenwählen, so wie sie ihn sich vorstellen, haben sich Hubert Kleiner, Vera Wollenberger und du vor einer Woche via Medien als künftige Führungstroika präsentiert.

Wir haben einen Vorschlag gemacht.

Und ihn so formuliert, daß vermittelt wurde, nur in dieser Konstellation werde es mit der Partei wieder aufwärts gehen.

Entscheiden können nur die Delegierten.

Noch vor kurzem haben ProtagonistInnen von Aufbruch und Realos das Wohl und Wehe der Partei unter anderem davon abhängig gemacht, daß künftig nicht mehr drei, sondern zwei SprecherInnen den Grünen vorsitzen. Nun dürfen es doch wieder drei sein. Weshalb?

Ich bin nach wie vor für eine Zweierlösung. Die Dreierlösung — für dieses Mal — war nur ein Not und Übergangsvorschlag. Es gibt kein legitimes Argument gegen den Anspruch der Ex-DDRler, im SprecherInnengremium vertreten zu sein. Und ein Westgrüner, eine Westgrüne alleine könnte das ganze Westspektrum in der Partei nicht vertreten.

Beides wußtet Ihr doch aber schon zu dem Zeitpunkt, als Ihr noch für zwei statt drei SprecherInnen gestritten habt. Und zu diesem Zeitpunkt hatten ihre Bewerbung abgegeben auch schon Christine Weiske — eine Ostgrüne, die freilich als relativ links gilt. Wieso der Sinneswandel?

Das Bündnis mit den Bürgerbewegungen steht noch immer nicht und muß möglicherweise schneller geschlossen werden, als wir dies bisher gedacht haben: Weil es faktisch früher zu Bundestagswahlen kommen könnte. Überdies ist erst letzte Woche, im 'Spiegel‘ nämlich, von Vera so etwas wie eine Quote für Grüne aus der ehemaligen DDR gefordert worden. Und in dieser Situation scheint es nur den Ausweg Dreiergremium für eine Übergangszeit zu geben. Allerdings ist möglich, daß doch noch andere Auswege existieren. Zum Beispiel eine Repräsentanz im geschäftsführenden Gremium. Ansonsten bin ich da relativ ratlos.

Stell dir vor, es ist Parteitag in Neumünster, und die Delegierten wählen mehr Linke in den Vorstand, als euch lieb ist...

Ich traue mir nur dann zu, Sprecherin der Partei zu sein, wenn eine klare Mehrheit in unserem Sinne den Vorstand stellt — anders würde ich es vermutlich nicht schaffen. Interview: Ferdos Forudastan